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Halb voll Wahrheit
Kolumne Port Woling - Fragen wir so wenig, weil Wahrheiten auch schmerzhaft sein können.
Ein Glas halb voll Wahrheit
Sarrazin und die Wähler
Sage mir, wessen Glas du ergreifen willst und ich sage dir die andere Hälfte der Wahrheit.
Mich lehrte einst mein Geschichtslehrer in der fünften Schulklasse: “Fragen schadet nicht.” Ich glaube, er wollte mir eine Lebenseinstellung vermitteln. Er hatte wohl Erfolg. Wie aber steht es mit den Antworten?
Kinder haben keine Schmerzen mit ihren vielen Fragen – Erwachsene mit ehrlichen Antworten oftmals schon. Sind Kinder dazu verdammt, kaum ausreichende Antworten zu bekommen – und Erwachsene, mehr Regeln aufzustellen, als Verständnis zu wecken? Wo steht das geschrieben? Muss ich Antworten von Jemand bekommen oder kann ich sie mir nicht selbst beschaffen?
Ein’s scheint mir – wir fragen so wenig, weil Wahrheiten auch schmerzhaft sein können. Oder wollen wir nur nicht die volle Wahrheit? Dabei sollten Tatsachen im Leben immer hinterfragt werden, um die vermeintlich gültige Antworten einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Alles ist in Veränderung – Alles ist in Bewegung – Alles steht im Zusammenhang – nur dadurch gibt es einen Prozess der ständigen Verbesserung.
Was treibt den Menschen voran – abgesehen von den Dingen, die Jeder haben muss, wie den Heiligen Sender RTL, raumfüllende Full-HD-TV, das Weihnachts-Highlight Coca-Cola, den Wetterfestmacher Actimel und beim IM “Facebook” die Aktie sowie einen Account. Sind es nicht die Antworten, nach denen der Mensch sucht?
Hinterfragen ist das Elixier der Veränderung. Neugierde ist dein Wegweiser im Dschungel des Unwissens.
Die Dialektik eines immer notwendigen Verbesserungsprozess prägt heute viel zu wenig unsere Gesellschaft. Unsere Kultur des Miteinanders ist zivilisiert durch Extremismus oder Halbwahrheiten. Eine Kultur des Miteinanders? Welche Funktion erfüllten dann noch Kabale, Ellenbogen, Fäuste und substanzlose Kameradenbetrüger?
Allerdings, die erwartete Wahrheit geht kollateral einher. Neben ihr stehen oft schnelle Antworten mit klingender Pracht als Halbwahrheiten aufgetragen. Was ist besser – eine Glas halb voll Wahrheit oder ein Glas halb leer mit Lügen. Es lügt ja Niemand – Lügen fassen sich nicht gut an – man nimmt lieber das Glas halb voll Wahrheit. So bekommen wir Antworten, über die wir wenigstens jubeln können.
“So – nehmen wir lieber Herrn Sarrazin mit seinen Antworten – wenn schon die Politiker keine haben – Punkt”, sagt sich der Bürger. Eine Frage, die ich in dieser Situation nur leise stelle:
“Die eine Seite der Medaille ist das beliebte Glas halb voll Wahrheit. Was nun ist mit der anderen Seite?”
Und, tatsächlich – es gibt doch Bürger, die sagen: “Schluss mit täuschenden Halbwahrheiten!”
Da sind wir schon wieder beim Herrn Sarrazin, der seine Thesen (Halbwahrheiten?) in rekordverdächtige Gipfelhöhen treibt. Was er nun betreibt mit seinem weiteren Buch “Europa braucht den Euro nicht”, gleicht den in südöstlichen Gefilden üblichen Hühnerkämpfen. Man hetzt die Beteiligten aufeinander. Nicht der Stärkere gewinnt. Und nicht die umstehenden Zuschauer schöpfen wirkliche Werte. Doch – der Dirigent erfüllt seine Vision – koste es alles Hühnerblut der Welt. Dass dabei auch der Zuschauer auf der Strecke bleibt, merkt er erst am Ende. Mit Halbwahrheiten gespickt, geht er, wie von spanischen Picadores gepeinigt, langsam aber sicher seinem Ende entgegen.
Dieser Sarrazin macht es mir einfach. Sein erstes Buch “Deutschland schafft sich ab” tönte klare unüberhörbare Signale in die Welt. Wer erwartet da Neues im Sarrazin-Westen in seinem weiteren Buch. Man könnte fast zurückposaunen: “Sage mir, wessen Glas du nimmst und ich sage dir die andere Hälfte der Wahrheit.” Ein’s ist sicher – dieser Sarrazin polarisiert – weg von eigentlichen Grundfragen.
Wann kommt ein Bestseller “Deutschland schafft Sarrazin ab”? Nehmt diesen Mann von der Bühne der Volksverdummung. Er übertrifft mit am Kern vorbeigehenden Zweckaussagen jeden machtbesessenen Politiker und die Gefährlichkeit einer Meute von tausend Nazis. Mit Halbwahrheiten betreibt er eine gefährliche Massendemagogie. Massen lassen sich unbewusst in eine beliebige, gefährliche Fahrspur hineinmanövrieren. Der Bürger muss sich nicht selbst den Kopf zerbrechen. Herr Sarrazin hat immer eine Antwort.
Kein Wunder – das Handbuch der Massenpsychologie ist das Heilige Buch des Herrn Sarrazin. Das halb volle Glas hat darin ein eigenes Kapitel. Jetzt schlägt er noch versöhnliche, weiche Worte an. Wird er bald in Machtposition getragen? Und seine Antworten würden in harte unausweichliche Aussagen umschlagen. Seine einzige Frage würde dann lauten: “Wollt ihr die totale Lösung?” Und die Versammelten würden alternativlos rufen: “Jaaa!” Eine neue Konfrontation jenseits eines zivilisierten, friedlichen Wettstreits wäre geboren – mitten in Europa. Will das diese Gemeinschaft – neue heilige Auseinandersetzungen im Namen solcher Machtbesessener, dass wieder erbarmungslos Köpfe rollen – in solchen Mengen, dass man keinen Horizont mehr vorfindet?
Die Frage dieser Tage, die Niemand schlafen lässt, der an Deutschland in der Nacht denkt: “Was sind die weiteren Vorhaben des neuen Führers? Sollte man ihn vorsorglich die Hand zum Gruß und zur Ehrenbezeigung ausstrecken, bevor man der Letzte ist, den das Leben bestraft?” Er will wohl nur eins – die absolute Macht und die Schalthebel, die er einst schon inne hatte. Und seine Helfer lauern. Eine neue Marionette wäre geboren. Wie sprach er doch in einem Interview am 21. Mai 2012: “Wenn ich Bundeskanzler wäre … .”
Was aber erschafft diesen Mann? Erstaunlich – wir kümmern uns immer um die Auswirkungen, aber nicht um die Ursachen – wie der Bauer, der keine Zeit zum Flicken seines Zauns findet, weil er die Hühner immer einfangen muss. Da sind wir wieder bei den Fragen: Leben wir nicht in einer spätrömisch verkrusteten Scheindemokratie in den letzten Atemzügen seiner Epoche? Haben nicht Einzelne, Institutionen, Regierende mit Machtmissbrauch die Demokratie vergiftet? Im Gegenzug glauben Massen unbelesen und blind an Sarrazin oder andere okkulte Personen, Gruppen und Medien? Diese Atmosphäre beginnt das Gift von Terror zu streuen. Die Diktatur in höherer Form könnte folgen. Bald wieder und auf Kanzlers Befehl zieht das Volk unverhohlen und euphorisch in den Krieg.
Da sind wir bei den Antworten. Wo eine Kultur des Miteinanders, wirklichen Mitregierens, wirklicher Volksentscheide und vor Allem des Hinterfragens nicht gefördert wird, muss man sich über erstarkende Fundamentalismus nicht wundern.
Welche Funktion sollten hier Wahlen haben? Sind die Wahlen das Problem? Wie steht es um die Macher, das Grundverständnis und die Ausübungsform der Demokratie? Brauchen wir neue Parteien? Brauchen wir einen Sarrazin? Brauchen wir eine neue menschliche Spezies, die zur menschlichen Gemeinschaft zusammenwächst und sich ins Ökosystem der Erde einpasst? Benötigen wir ein neues Energie-Wasserstoffzeitalter mit dezentraler Energieerzeugung frei von teuren Erzeugern und Energie-Monopolen, frei von Energie-Preisabsprachen, frei von Grünen-Strom-Märchen, frei von Schadstoffemissionen, frei von sinnloser Plünderung fossiler Ressourcen, frei von unbegrenzter OPEC-Macht, frei von einer Ressourcenvorherrschaft begrenzter Regionen, frei von historisch überholten Eskalationspotential zwischen Großmächten oder Religionen, frei von geistigem Stillstand und tierischen Instinkten?
“Piraten - wohin wollt ihr? Was ist Eure Vision? Bringt mir keine Losungen und Wahlversprechen. Jedes nicht mit Halbwahrheiten gefüllte Glas schäumt bereits über vor Losungen. Bringt mir eine neue Demokratie ohne der Möglichkeit, Macht zu missbrauchen – eine neue Demokratie, die Ursachen und Wirkungen betrachtet, im individuellen und im Globalen – eine Demokratie, die wie ein Diamant transparent und unzerstörbar ist. Grabt für ein neues Fundament – Verdammte dieser Demokratie. Dann kann das Volk vielleicht wieder in der Mehrheit wählen.”
Also, Herr Sarrazin:
“Wohin gehst Du? Gestatte mir diese Frage und gib mir ein Glas ganz voll Wahrheit!“
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