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1939-09-01 @ Euthanasie-Erlass
Geschichte Port Woling - Euthanasie in der NS-Diktatur - was geschah - eine NS-Historie im indirekten Vergleich …
Euthanasie & Gesundheit in der NS-Diktatur
Vor 80 Jahren zum Ende des Jahres 1940 - Deutschlands erste Welle einer Euthanasie-Kampagne und Tötungsmaschinerie lief auf Hochtouren. Im Ergebnis wurden während der NS-Diktatur hunderttausende Behinderte generalstabsmäßig organisiert ermordet.
Wann begann bzw. beginnt der Faschismus?
Es konnte geschehen, weil Jahre zuvor eine vermeintlich demokratisch legitimierte Einschränkung von Freiheitsrechten zum Dauerzustand gemacht wurde (siehe Ermächtigungsgesetz). Die Weimarer Republik war gescheitert - eine Diktatur hatte die Macht übernommen.
Die Auseinandersetzung mit der NS-Euthanasie ist eine Auseinandersetzung mit einem der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte - dem Holocaust. Der Begriff Euthanasie ist heute allgegenwärtig für geschichtsbewusste (und nicht für geschichtsverfälschende oder -vergessene) Deutsche - ein Begriff für die systematische Ermordung von Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen.
Und die Deutschen wussten von den Morden!
Und - sie wussten auch, was sie in einer Diktatur des alles Beherrschenden erwartet – was sie erwartet bei einer Massengleichschaltung (u.a. mittels Medien, Propaganda, Manipulation, Demagogie, gewollten Unwägbarkeiten, verzerrten Informationen und völliger Unverhältnismäßigkeit) – was sie erwartet bei einer parallelen Militarisierung, einer kriegstreibenden Hetze gegen andere Völker – was sie erwartet bei der absoluten Rolle der NSDAP (faschistische Partei, Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) mit Unterstützung des obersten Finanzkapitals (Wirtschaft, Industrie).
EUTHANASIE IN DER THEORIE
Das Wort Euthanasie setzt sich zusammen aus »eu« für »gut, schön« und »thanatos« für »Tod«. In der Gegenwart wird im internationalen Diskurs der Begriff zumeist im Zusammenhang mit der Handlung eines Arztes zur Tötung auf Verlangen oder Beihilfe zur Selbsttötung verwendet - im Sinne eines würdigen und schmerzlosen Todes. Unterschieden wird in aktive Euthanasie (Tötung auf Verlangen) und passiver Euthanasie (Abbruch oder Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen, Gabe von Schmerzmitteln mit der Nebenwirkung eines schnelleren Todes).
Im deutschen Sprachgebiet ist der Begriff Euthanasie insbesondere aus historischen Gründen (hoffentlich) stark negativ belastet. Hintergrund ist der Massenmord an Menschen mit Behinderung oder psychischen Krankheiten in der Zeit des Nationalsozialismus.
Euthanasie im Nationalsozialismus basierte auf dem verbrecherischen Vorsatz der »straffreien Erlösungstat«.
Eine Propagierung der Idee geschah in der Schrift des Strafrechtlers Karl Binding und Psychiaters Alfred Hoche aus dem Jahr 1920 »Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens«. Die Schrift bezog sich auf 3 Gruppen von betreffenden Personen:
- Die Gruppe der durch eine Krankheit oder Verletzung unrettbar Verlorenen (aufgrund des eigenen Wunsches nach Erlösung bzw. einer Tötung aus eigenem Verlangen);
- Die Gruppe geistig gesunder, aber bewusstloser Persönlichkeiten ohne Aussicht auf gesundes Erwachen (z.B. Wachkomapatienten);
- Die Gruppe Schwerbehinderter (z.B. schwerste Behinderungen bei Neugeborenen). Letztere beiden Gruppen können nur durch Tötung auf Verlangen der Gesellschaft oder des Staates erfolgen.
Es folgten konkrete Begrifflichkeiten aus fragwürdigen Überlegungen nach einem Maßstab an Nützlichkeit und Wert im Nazi-Deutschland. Die Begriffe bildeten praktisch demagogische Verunglimpfungen, gleichschaltende Propagandaschlagwörter, Hassbegriffe und behördliche sowie ärztliche Handlungsempfehlungen, z. B. »Volksgesundheit«, »nutzlose Esser«, »leere Menschenhülsen«, »lebensunwertes Leben«, »Ballastexistenzen«.
Daraus entwickelte sich das praktische Programm zur etappenweisen Umsetzung von Kernzielen der Nazi-Ideologie, der »Aufartung« sowie auch »Aufnordung« des deutschen Volkes. Schmackhaft machte man das Programm im Folgenden u. a. mit verlockenden Ehestandsdarlehen, Kinderbeihilfen, Steuererleichterungen bis hin zur Übertragung von Siedlerstellen und Erbhöfen zur Förderung von rassisch erwünschtem Nachwuchs.
DAS GESUNDHEITSWESEN IM NATIONALSOZIALISMUS
Gesundheit und Freiheit standen im Deutschland der 30iger Jahre im grundlegenden Widerspruch. Seinen Ursprung nahmen Gedanken der »Minderwertigkeit« menschlichen Lebens aber schon Anfang des 19. Jahrhunderts. So legte beispielsweise im Jahr 1914 der deutsche Reichskanzler Bethmann Hollweg aus eugenischen Gründen einen Entwurf für ein »Gesetz zur Unfruchtbarmachung und Schwangerschaftsabbrechung« vor, das nur durch den Beginn des Ersten Weltkrieges verhindert wurde. Im Jahr 1907 wurde bereits in den USA in Indiana erstmals eine Zwangssterilisation aus eugenischen Gründen gesetzlich erlaubt.
Selbst zur Konsolidierung der Weimarer Republik wurden diesbezügliche Überlegungen nicht ausgeschlossen. Heil- und Pflegeanstalten für Psychiatrie-Patienten glichen trostlosen Massenunterkünften, in denen die Kranken vor sich hinvegetierten.
Euthanasie im Nationalsozialismus – wenn man das Thema betrachtet, kann man es nicht losgelöst vom Gesundheitswesen im NS-Staat betrachten, das ein Bestandteil des Machtgefüges und der Strategie im »Dritten Reich« war. Die nationalsozialistische Gesundheitspolitik (u.a. Erlasse und Gesetze) ging einher mit einer zunehmenden und aktiven Einflussnahme auf die deutsche Ärzteschaft.
Die Transformation des Gesundheitswesens in der Zeit der Jahre 1933 bis 1945 gipfelte in den Euthanasie-Aktionen. Der propagierte Gedanke der »Volksgesundheit« führte zur staatlich organisierten Planung und Umsetzung der Ermordung kranker Menschen. Ämter und Personen waren in diesen kaum vorstellbaren und sich allmählich sowie zunehmend radikalisierenden Prozess involviert.
Es galt Gedankenströmungen zu kanalisieren, um die Ziele zu erreichen. Die Macher der nationalsozialistischen Ideologie arbeiteten massiv an einer Legitimationsbasis für die Erbgesundheits- und Bevölkerungspolitik.
Die Anhänger des Sozialdarwinismus sahen durch die Industrialisierung und Modernisierung die natürliche Auslese außer Kraft gesetzt. Sie begründeten ihre Sicht damit, dass das Leben kranker Menschen aufgrund medizinischer Fortschritte verlängert werden konnte. Den ethisch-moralischen und humanistischen Aspekt eines werten, zu schützenden Lebens negierten sie.
Eine gesteuerte, gesellschaftliche Auslese war im Folgenden ihr verbrecherisches Ziel. Den Weg sahen sie in einer »positiven Eugenik« durch Begünstigung der Vermehrung von Personen, die die vermeidlich besseren Erbanlagen besäßen. Der zweite Weg war die später folgende massenhaften Ermordungen von ihrer Ansicht nach »unwerten Menschen«. Das Gesundheitswesen wurde dieser Ideologie folgend angepasst.
Nicht zu vergessen ist der ökonomisch-profitabel orientierte Zweck dieser Ideologie, ohne diesem die Nazi-Lakaien des Kapitals keine Förderer gefunden hätten.
Erst die profitablen Aussichten machten das Ungeheuerliche möglich - das Programm zur »Schaffung eines neuen Menschen und neuen Volkes in einer neuen Ordnung«. Parallel wurde auch das ökonomische Argument der hohen Kosten für die Fürsorge unheilbar kranker Menschen herangezogen.
Zur Rolle von Adolf Hitler (†1945, späterer nationalsozialistischer Diktator österreichischer Herkunft). Er war Mitte der 20ger Jahre bestrebt, die Gedanken der »Menschlichen Erblichkeitslehre« weiterzuentwickeln. Hitler machte sie zu seiner zentralen Verbrechenstheorie der »Rassenhygiene«, den Grundvoraussetzungen für die folgende nationalsozialistische Gesundheitspolitik.
Die Basis für eine Euthanasiekampagne war geschaffen.
Eine Umformung des Gesundheitswesens mit einer vom NS-Regime gesteuerten »Verschmelzung von Wissenschaft und Ideologie« ging damit einher. Möglich wurde das durch eine praktizierte Gleichschaltung von vermeintlich wissenschaftlichen Grundlagen im Gesundheitswesen. Dieses Vorgehen war gekennzeichnet durch eine Diskriminierung sowie einen Ausschluss anderer fachlich fundierte (vorgeblich falscher) Grundlagen.
Die Praxis der Transformation des Gesundheitswesens war durch einen schleichenden Prozess gekennzeichnet, der bereits Jahre vor der Machtergreifung der Nazis begann. Ausdruck dessen war ein stetiger Machtgewinn der Nationalsozialistischen NSDAP. Dinge und Menschen, die ihnen gemäß ihrer Ideologie nicht konform liefen, wurden Schritt für Schritt, nach und nach, flächendeckend im Land, von den Kommunen bis in die Parlamente infiltriert, ausgegrenzt, diskriminiert, bekämpft und beseitigt.
Die Profiteure des Systems hatten ein leichtes Spiel. Die NS-Ideologie versprach ihnen Maximalprofit sowie den Menschen vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise ein besseres Leben. Ob es ein menschliches oder friedlicheres Leben sein würde, spielte keine Rolle.
Die Machtübernahme wurde vorbereitet. Die Propaganda bekam eine der Verlockung der Medusa gleichende Überschrift »Volk, Gesundheit und Staat«. Zweck der Strategie war es, das Gesundheitswesen für die Ziele des Nationalsozialismus nutzbar zu machen.
Das Konzept der Neuen Deutschen Heilkunde uferte im Interesse des Profits in unmenschlichen Zwangssterilisationen, Menschenversuchen mit tausenden Todesopfern und Euthanasie. Die zugehörige NS-Propaganda wurde später weiterentwickelt zur Argumentationslinie bei der Entscheidungsfindung zu noch größeren Verbrechen.
Es gipfelte im Holocaust.
VORGEBLICHE GRÜNDE FÜR DIE MORDKAMPAGNE
Zur Verschönung der Euthanasie-Thesen gab es weitere Schlagwörter wie »Gnadenakt«, »Aktion Gnadentod« oder »Akt der Erlösung«, als auch einfache Kosten-Nutzen-Rechnungen. Ein Propagandaplakat der Nazi-Partei NSDAP enthielt die folgende Aufrechnung: “60.000 RM kostet dieser Erbkranke die Volksgemeinschaft auf Lebenszeit. Volksgenosse, das ist auch Dein Geld.” Kriegswirtschaftliche Erwägungen während des Zweiten Weltkrieges wurden ebenfalls zur Begründung herangezogen.
Anerkannte wissenschaftliche Theorien verbogen die Nazis im Sinne ihrer Ziele. U.a. begründeten sie mit Bezug auf die Evolutionstheorie von Charles Darwin ihre verbrecherischen Vorhaben. In einem ständigen Ausleseprozess würde die Natur das Überleben ungünstiger Merkmale automatisch eliminieren. Also müsse gemäß einer rassistischen Deutung und Begründung der Ausleseprozess nur beschleunigt werden, damit sich die stärkere deutsche Rasse durchsetzen würde.
Zur Rechtfertigung der Euthanasie im »Dritten Reich« wurde auch die anfangs des 20. Jahrhunderts im Westen verbreitet und diskutierte Theorie der Eugenik weiterentwickelt – im Nazi-Jargon »Erbgesundheitslehre«, »Erbpflege«, »Rassenhygiene«, »Ballastexistenz«.
Die Eugenik wurde für die »Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik« im Nationalsozialismus eine umfassende Zwecktheorie und Sammlung theoretischer Konzepte. Sie wurde z. T. abgeleitet aus Erkenntnissen der Humangenetik. Ziel der auch als nationalsozialistische »Rassenhygiene« bezeichneten Eugenik war es, den Anteil positiv bewerteter Erbanlagen zu vergrößern (positive Eugenik) und den negativ bewerteter Erbanlagen zu verringern (negative Eugenik) bzw. die angeborenen Eigenschaften einer Rasse durch ein »Populations-Gen-Pool« zu verbessern.
Thesen über vorgebliche »Parasiten am deutschen Volkskörper« gipfelten in den praktizierten Verbrechen durch Verfolgung und Ermordung von Kranken und Menschen mit Behinderung aller Altersgruppen ebenso wie von Juden und Angehörigen anderer Gruppen oder Nationalitäten. Diesen »Volkskörper« galt es von nun an durch eine Verhinderung der Fortpflanzung der Risikogruppe “Menschen mit möglicherweise vorhandenen Erbkrankheiten” sowie von sozial und rassisch unerwünschten Menschen zu schützen.
Über 400.000 Männer und Frauen wurden zwangssterilisiert.
WIE ALLES BEGANN
Das Ermordungsprogramm »Aktion T4« (der Deckname steht für Tiergartenstraße 4 in Berlin), das Hitler selbst in Auftrag gab, leitete die von den Nazis selbst so bezeichnete »Euthanasie« ein. Der ursprüngliche Sinn des Wortes (schöner, leichter Tod) wurde zynisch entfremdet. Ein bezeichnender Propagandatext war zu sehen auf einer Lehrtafel aus dem sogenannten »Rasseatlas«, der in allen Schulen der NS-Zeit eingesetzt wurde. Der Text lautete: “Für ein Erziehungsheim mit 130 Schwachsinnigen könnte man 17 Eigenheime bauen”.
Ab 1939 wurden Meldebogen an alle Heil- und Pflegeanstalten, Pflegeheime sowie Anstalten im Deutschen Reich versandt. Zweck der Bögen war eine umfassende Erfassung von Krankenhistorie, Aufenthaltsdauer, Arbeitsfähigkeit und Heilungsaussichten ausnahmslos eines jeden Patienten. Zum Befragungszweck wurden dem Personal keine Auskunft erteilt. Aufgrund der Aktenlage entschieden Sachbearbeiter in Berlin über ein Weiterleben oder die Tötung der Betroffenen.
Am 18.08.1939 wurde eine Meldepflicht für »missgebildete« Neugeborene per Runderlass einführt. Mit Datum vom 01.09.1939 datiert ist ein Schreiben Hitlers, das folgenden Wortlaut besaß:
“Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann” (Quelle: www.gedenkort-t4.eu/de/wissen/aktion-t4).
DAS VERBRECHEN
Die organisatorischen Strukturen des Krankenmordes wurden im Herbst des Jahres 1939 von Bouhler und Brandt (Hitlers Leibarzt) geschaffen. Es wurden sechs Tötungsanstalten des Reiches als Schwerpunktanstalten zum Mordbetrieb umgerüstet. Im Falle jüdischer »Patienten« spielten Heilungschancen und Arbeitsfähigkeit eine geringere Rolle, als mehr ihre Herkunft.
Nun galt es, das medizinische Personal zu verorten. Es geschah, nachdem die “Nürnberger Gesetze” aus dem Jahr 1935 - das “Reichsbürgergesetz” und das sog. “Blutschutzgesetz” - die deutschen Staatsbürger willkürlich sortierte und deutsche Juden und Jüdinnen zu »rassisch Fremden« erklärte. Jene, die nicht mitzogen oder auch jüdischen Ärztinnen und Ärzten wurde durch den NS-Gesetzgeber die staatliche Berufszulassung entzogen.
Die Kanzlei Hitlers sowie Ärzte waren die Organisatoren des Massenmordes.
Zur der »Tötung« genannten Ermordung erfolgte ohne ein Urteil die Einlieferung der Opfer in spezielle Tötungsanstalten. Die Morde geschahen durch Vergasung, Injektion zum langsamen Tod, Giftspritze für einen schnellen Tod, Verabreichung von Medikamenten wie Luminal, Morphin oder durch systematische Unterernährung. An Angehörige ergingen ohne dem Recht auf Obduktion Schreiben mit falschen Todesursachen und Todesorten.
»Kindereuthanasie« - es war eine der grausamsten, verabscheuungswürdigen Teilprogramme und im besonderen Maße ohne jegliche moralische Skrupel. Um die eigentlichen Auftraggeber, aber auch Verbrechen zu tarnen, wurde eine Tarnorganisation mit dem Namen »Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden« eingerichtet.
Die institutionellen Täter bedienten sich bei ihrer Arbeit einer bürokratischen, entmenschlichenden Sprache. Getötete »Patienten« galten als »desinfiziert« bzw. »erledigt« Sachverhalte.
Ihre Ermordung war reiner Verwaltungsakt.
»Aktion T4« forderte innerhalb einer Jahresfrist (1940-1941) mehr als 70.000 Opfer. Trotz einer versuchten Geheimhaltung und Gleichschaltung der Öffentlichkeit war anfänglich eine gewisse Empörung in Teilen der Bevölkerung als auch Kirche nicht zu verhindern. Die Aufregung darüber blieb jedoch ein lauer Wind im Wasserglas. Im Geheimen gingen die Tötungen jedoch bis zum Kriegsende weiter.
Die organisierte Euthanasie forderte weitere Opfer - bis zum Jahr 1945 insgesamt über 200.000 Ermordete.
Um nicht zu vergessen - Euthanasie auf Machart im Nationalsozialismus Deutschlands ist auch ein Teil der Geschichte Österreich. Das Land hat diesen Teil seiner Vergangenheit lange verdrängt.
Übrigens - das Personal der »Aktion T4« fand sich später zum großen Teil in den Vernichtungslagern der »Aktion Reinhard« wieder. Der Tarnname war Ausdruck der Aktion zur systematischen Ermordung aller Juden und Roma des Generalgouvernements im deutsch besetzten Polen während des Zweiten Weltkrieges.
Menschvernichtung im Namen der Gesundheit
Ausgrenzung, Isolation Andersdenkender, Antisemitismus und Massenmord wurden nun - wie nicht das erste Mal in der deutschen Geschichte - auch unter dem Vorwand eines …
… Kampfes gegen Viren, Bakterien und Seuchen …
… zum alltäglichen Geschehen. “Endziel muss jedenfalls sein, dass wir diese Pestbeule restlos ausbrennen” (Quelle: Geheimbericht Regierungspräsident Uebelöhr an verschiedene Verwaltungs- und Polizeistellen des “Warthegaus” am 10.12.1939, in: Dokumenty i Materialy III, a.a.O., S. 26-31). Nicht genehme Menschengruppen, insbesondere Juden wurden u.a. in besetzten Gebieten Polens oft massenhaft als krank registriert und in Ghettos (u.a. Warschauer Ghetto) unter unmenschlichsten Bedingungen eingepfercht. Um die “Seuchengefahr” einzudämmen, wurden alle als krank Registrierte “ausgesiedelt”.
Der Seuchen- und Gesundheitsschutz wurde ein weiteres Argument der Intoleranz und Ausgrenzung. Juden, Kranke und sonstige unbequeme Menschengruppen galten als Parasiten. Begriffe wie Quarantäne, Krisenzonen und “Volkshygiene” wurden als Mantel instrumentalisiert zur Durchführung menschenverachtender Verbrechen. Es galt gleichfalls den deutschen Volkskörper (menschenverachtender, “rassenbiologisch” begründeter Begriff) vor einer Durchseuchung zu schützen.
Im Namen der Gesundheit wurde der Holocaust - der nationalsozialistische Völkermord an 5,6 bis 6,3 Millionen europäischen Juden - mit Kriegsbeginn und dem Überfall auf Polen forciert.
DIE QUINTESSENZ
Im Ergebnis der Verbrechen durch unmenschliche medizinische Experimente und Zwangssterilisationen wurde im Jahr 1947 im Rahmen der Urteilsverkündung zum Nürnberger Ärzteprozess der sogenannte Nürnberger Kodex erlassen. Er bildet bis heute eine zentrale ethische Richtlinie bei der Vorbereitung und Durchführung medizinischer, psychologischer und anderer Experimente am Menschen. Er gehört wie das Genfer Gelöbnis zu den medizinethischen Grundsätzen in der Medizinerausbildung.
Kann sich Geschichte wiederholen? Die geschilderte verbrecherische Gesundheitspolitik, Euthanasie und Eugenik - kann das wieder geschehen? Um eine erneute schleichende Wiederholung des Grauens von damals zu verhindern, muss man allerdings verstehen, was in der NS-Diktatur geschah.
Man will diesen Vorgang einfach nur verstehen - ein Dahin-denken bedeutet ein unvergleichliches seelisches Wehtun.
Ein Dutzend essenzielle Kernerkenntnisse aus den damaligen Ereignissen - zu Denen im Nachhinein oft genug gesagt wurde, man habe von Nichts gewusst - lassen sich aus historischer Sicht ableiten. Sie sollten eindringlich, greifbar und nachhaltig Lehren für die Zukunft bilden.
- Es ist möglich, die Bevölkerung weitestgehend von den Orten durchgeführter Verbrechen fernzuhalten.
- Ein Großteil der Gesellschaft lässt sich durch eine massive Gleichschaltung der Meinung (Medien, Propaganda, Manipulation) von der Notwendigkeit ausgrenzender Aktionen überzeugen. Eine Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik kann nachhaltige Verhaltensänderungen der Masse bewirken.
- Gleichgeschaltete Säulen der Macht (Legislative, Exekutive, Judikative) - ihnen bis zum letzten Mitarbeiter ohne Widerspruch ergeben - sorgen für die Rahmenbedingungen. In einem schleichenden Prozess lässt sich dieser diktatorische Zustand über wenige Jahre erreichen.
- Weitere tragende Säulen des menschlichen Miteinanders, wie freie Kommunikation, Meinungsaustausch, sachliche Diskurse, Standfestigkeit, Ethik, Selbstkontrolle, Wissen und Zivilcourage lassen sich weitestgehend kontrollieren, steuern, in Schranken weisen und letztlich unterbinden.
- Unter bestimmten Zwangsvoraussetzungen (z.B. Beschneidung von Bürgerrechten, Androhungen, Entzug Berufszulassungen), motivierenden Maßnahmen (Privilegierung) und/oder manipulativen Mechanismen (Vortäuschen von Postfakten oder angepasste Statistiken) lassen sich medizinisches Fach- und Pflegepersonal so verorten, dass sie zweifelhafter medizinischer Verfahren und der Ermordung wehrloser Menschen - Männer, Frauen und Kinder - skrupellos nachkommen oder es zumindest tolerieren.
- Es ist möglich, ein Bewusstsein zu schaffen, in dem Mord für ein probates Mittel gehalten wird, um soziale oder wirtschaftliche Probleme zu lösen. Eine Argumentationslinie zur Entscheidungsfindung für Verbrechen und deren Implementierung im gleichgeschalteten Apparat ist erzielbar.
- Technische Aspekte des Grauens und zur Umsetzung der Euthanasie im Eugenik-Sinne zur »Volksgesundung« waren lösbar. Es gab schon damals technische Möglichkeiten, eine große Anzahl von Menschen schnell und weitestgehend unbeobachtet vom Leben zum Tode zu befördern. Voraussetzungen sind ausgewählte zentrale Standorte, die anfänglich mit humanistisch wirkenden Bezeichnungen getarnt und deklariert werden.
- Einschränkungen der persönlichen Freiheit lassen die Macher zu einer vermeintlichen »Volksgesundung« auch alle Möglichkeiten (diktatorischen Instrumente und Zwangsmaßnahmen) für jedes andere ökonomische Begehren der Profiteure einsetzen. Die Frage nach dem »Warum« und »Wer profitierte«, gibt bei einem Blick auf die Monopolunternehmen der damaligen Welt zielsicher die Antworten. Die Profitrate entscheidet. “Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. 10 Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens” (Quelle: Karl Marx, „Das Kapital“, Band 1, MEW Bd.23, S.788, Fußnote 250, Marx zitiert den englischen Gewerkschaftsfunktionär Thomas Joseph Dunning).
- Ein scheindemokratisches Parteiensystem lässt sich einzig zum Zweck implementieren, um demokratische Verhältnisse zu suggerieren, um in gegenseitigen Grabenkämpfen als auch Koalitionen den Eindruck zu erwecken, der Souverän und sein Wohl stände im Fokus aller Bemühungen. Das Parteiensystem wird nur bis zu dem Tag benötigt, bis es eine offene Diktatur als überholt auflösen wird. Bis dahin aber wird es für im wachsenden Militarismus benötigte Mittel und Schritte sorgen als auch für eine zunehmende diktatorische Gesetzgebung bis hin zu einer völligen Überwachung der Masse sowie Kontrolle von Allem und Jedem.
- Ein Quasi-Faschismus wird in einem antagonistischen System immer entstehen. Faschismus entsteht nicht losgelöst vom kapitalistischen System. Er wird quasi durch die Akteure mit dem Maximalprofit (Monopolkapital) und ein von den genannten Akteuren implementierte sowie privilegierte Politische Klasse in den Sattel getragen - so final geschehen am 30.01.1933 als formale, legale »Machtübergabe« an die NSDAP unter Tolerierung der vorgeblich demokratischen Parteien (später als Machtergreifung der Nationalsozialisten bezeichnet). Es folgte das Ermächtigungsgesetz mit dem demagogischen Namen »Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich«. Am 23.03.1933 stimmte der gewählte Reichstag für das von der Hitlerregierung eingebrachte Gesetz (mit den Stimmen der Regierungskoalition aus NSDAP und DNVP sowie von Zentrum, Bayerischer Volkspartei (BVP) und Deutscher Staatspartei). Von diesem Zeitpunkt an lag die Macht vollständig und absolut in der Hand des Diktators.
- Eine strategisch geplante und schleichend übertragene ungezügelte Macht (institutionell, ökonomisch, politisch, militärisch) wird unweigerlich ab einem bestimmten Punkt errungene demokratische Freiheiten einschränken und beseitigen sowie sich Step by Step wie selbstverständlich und unumkehrbar des Grauens bedienen.
- Ökonomische Grundlagen des Grauens, die ein kollabierende Kapitalismus mit sich bringt, sind unabdingbare Voraussetzungen für die praktische Umsetzung - ja sie wenden sich offen an die eigentlichen faschistoiden Macher und Akteure. Der Faschismus ist die Macht des aggressivsten Großkapitals selbst. Die wahrhaft und ökonomisch Herrschenden bringen ihre Handlanger an die Macht. Bezeichnend dafür waren damals die riesigen Ausgaben der SA- und SS-Verbände, als Hitler, Göring und Goebbels am 30. Januar 1933 in die Regierungsgebäude der Wilhelmstraße einzogen. Vor 90 Jahren zahlte u.a. das Kohlensyndikat und die Schwerindustrie des Monopolkapitalisten Kirdorf. Im erweiterten Kreis befanden sich als finanzielle Förderer des Grauenes Dreihundert Rüstungsindustrielle und Bankherren von Krupp bis Co. aus Deutschland bis zu US-Industriellen.
Hitler verkaufte sich den plutokratischen Konzernherren und Monopolkapital mit Haut und Haaren - so wie aktuell die Politische Klasse Westeuropas.
FRAGE und AUSSICHT
Totalitaristischer Quasi-Faschismus und neuer Militarismus nahmen den Menschen der Weimarer Republik nicht nur das bisschen Wohlstand, sondern auch Lebensgrundlagen und Frieden. „Die WELLE“ – ein Film aus dem Jahr 2008 – verdeutlichte eindrucksvoll, wie schnell so eine gesellschaftliche Situation erreichbar ist, in dem die Menschen ihr Fell selbst zum Schlächter tragen. Ein Lehrer startete im Film ein Experiment mit seinen Schülern, um die Entstehung einer Diktatur zu verdeutlichen. Die Fiction vor einem historischen Hintergrund wurde scheinbar schnell zur Realität.
Die Frage lautet: Begann es wirklich erst mit den Ereignissen im Jahr 1939? Im Suchen nach der Antwort sehen wir - das Grauen hatte seine Vorgeschichte. Alles begann banal - “es wird nicht so schlimm”. Und es begann in einem System - einem System des kollabierenden Kapitalismus, dem die relativen demokratischen Freiheiten der Weimarer Republik ein Dorn im Auge waren.
Hannah Arendt (†1975, jüdische deutsch-US-amerikanische politische Theoretikerin und Publizistin) forderte ein “Denken ohne Geländer”. Denken auch wir nicht nur in den gesetzten Grenzen zu einer Braunen Uniform der Nationalsozialisten. Denken wir vielmehr daran, dass sich Uniformen ändern oder nicht wie Uniformen aussehen. Denken wir daran, dass ein Streben nach Maximalprofit immer Kriege und Verbrechen begründen wird.
“Wie Alles begann?
Mit der “Die Banalität des Bösen”! Hier und im zugrunde liegenden System liegen die Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft. Es gilt aber, das Böse nicht als unabänderlich klein zu reden.
Hinter dem Bösen steckt ein System, das ganz real Akzente setzt und im Hintergrund bitterböse wirkt - sich mehr und mehr entlarvend, je mehr es sich der Macht sicher ist.
Die fatale Macht des Totalitarismus schwebt seit der Industrialisierung und zunehmenden Konzentration des Kapitals (Monopolbildung, Zentralisation, Kartellbildung, Aufhebung Konkurrenzkampf, ungeahnte Macht für Oligarchen, privatkapitalistische Vereinnahmung Schlüsselindustrien mit gesellschaftlicher Stellung) über der Menschheit wie ein Damoklesschwert. Sie ist bereit, den Nürnberger Kodex als auch jedes anerkannte Menschnrecht zu brechen.
Um nicht zu vergessen - über Allem und zu jedem historischen Vorgang stehen immer die Fragen nach dem Warum und Wer den Nutzen aus Etwas zieht.
Diese 2 trivialen Fragen werden zuverlässige Antworten liefern - auch zu Vorgängen der Gegenwart und der Frage, was zu tun ist.
LITERATUR UND QUELLEN
- Götz Aly (Hrsg.): Aktion T4: 1939–1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4. 2., erweiterte Auflage, Edition Hentrich, Berlin 1989, ISBN 3-926175-66-4.
- https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Action_T4?uselang=de
- https://www.gedenkort-t4.eu/de
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HINWEIS
Diesen Artikel veröffentlichte ich parallel als Gastbeitrag bereits am 29.12.2020 auf der Website des Bündnis gegen Rechts - Werratal - Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Rechte Gewalt im Werratal, 99834 Gerstungen.
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