1941-09-30 @ Babyn Jar

Geschichte Port Woling - Erinnern wir uns an Babyn Jar, einem der größten Gewaltexzesse in der modernen Menschheitsgeschichte


Die neuen Täter sind unter uns

Babyn Jar - 29. bis 30.09-1941

Das Schrei­ben die­ser Zei­len fällt in Anbe­tracht des The­mas schwer.

UND TROTZDEM …

… erin­nern wir uns.

LEUTE, HÖRT ZU …

… VOR Jah­ren geschah es - in Babyn Jar!

Babyn Jar (über­setzt Wei­ber­schlucht) - eine Schlucht auf dem Gebiet der ukrai­ni­schen Haupt­stadt Kiew. Die­se Schlucht war Schau­platz des größ­ten Ein­zel­mas­sa­kers von Juden im Zwei­ten Welt­krieg unter Ver­ant­wor­tung der deut­schen Wehrmacht.

Wie kann es sein, dass Men­schen Men­schen töten?
Men­schen kön­nen das nicht sein!
Und doch waren es damals Täter in mensch­li­chen Hüllen.

Am 29. und 30. Sep­tem­ber 1941 fie­len inner­halb von nur 48 Stun­den den mor­den­den Ein­satz­grup­pen der deut­schen Wehr­macht, ukrai­ni­schen Faschis­ten, Nazi-Kol­la­bo­ra­teu­ren, ihrer Sicher­heits­po­li­zei und des SD (Abk. EGr) mehr als 33.000 Zivi­lis­ten zum Opfer - vor allem Juden, zumeist Kin­der, Frau­en und Alte, aber auch Roma, Kom­mu­nis­ten, tat­säch­li­che und ver­meint­li­che Par­ti­sa­nen, “Aso­zia­le” sowie geis­tig und kör­per­lich Behinderte.

Sie muss­ten sich in der lan­gen und tie­fen Schlucht jeweils nackt über die Toten legen und wur­den dann erschossen.

Sie ent­ka­men damit dem fabrik­mä­ßi­gen Mas­sen­mord durch Gas­ein­satz in Aus­schwitz, wo die Kapa­zi­tä­ten nicht mehr reich­ten, wo mil­lio­nen­fa­che Ver­ga­sun­gen stattfanden.

Die EGr waren zustän­dig für Mas­sen­mor­de im Polen­feld­zug 1939, im Bal­kan­feld­zug 1941 und vor allem im Krieg gegen die Sowjet­uni­on 1941 bis 1945.

In den Mona­ten nach die­sem Ereig­nis schlach­te­ten die Faschis­ten bis zu 200.000 wei­te­re Men­schen rund um Kiew ab.

Was geschah - Bericht einer Überlebenden

Dina Pro­nit­sche­wa gehör­te zu den weni­gen Über­le­ben­den des Mas­sa­kers. Sie berich­te­te, dass 36 Stun­den lang Juden kamen und star­ben und schil­der­te das unmensch­li­che und bar­ba­ri­sche Ver­hal­ten der Deut­schen wäh­rend die­ser Zeit. Ein Baby wur­de leben­dig in die Schlucht gewor­fen und die Mut­ter sprang hin­ter­her. Eine ande­re Mut­ter bat die SS-Sol­da­ten, sie zusam­men mit ihrer Toch­ter zu erschie­ßen. Die Juden muss­ten sich nach Pro­nit­sche­was Aus­sa­gen teil­wei­se bäuch­lings auf die Lei­chen legen und sel­ber auf ihren Tod durch Erschie­ßung war­ten. Dina sel­ber über­leb­te das Mas­sa­ker mit Glück, als sie in die Schlucht auf die Toten sprang und unent­deckt blieb. Als die Erde über sie geschüt­tet wur­de, konn­te sie unbe­merkt einen win­zi­gen Luft­spalt offen hal­ten und spä­ter ent­kom­men. Sie sag­te im Kriegs­ver­bre­cher­pro­zess 1946 aus” (Quel­le: www.zukunft-braucht-erinnerung.de).

Die heute Lebenden

Die Stra­ße im Nor­den Kiews in Rich­tung Babyn Jar trägt im Jahr 2022 den Namen des bekann­tes­ten ukrai­ni­schen Faschis­ten, Juden­has­sers und Nazi-Kol­la­bo­ra­teurs: “Ste­pan Ban­de­ra Ave­nue”. Die Ver­län­ge­rung trägt den Namen “Roman Schuch­ke­wisch Ave­nue”. Schuch­ke­wisch (oder Suche­vyč) ermor­de­te als Kom­man­deur eines ukrai­ni­schen Nazi-Batail­lons in Weiß­russ­land nicht nur tau­sen­de Par­ti­sa­nen, son­dern koor­di­nier­te die “jüdi­sche Säu­be­rung” der West­ukrai­ne. Sein Sohn ist heu­te Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­ter der Ukraine.

WIR SEHEN DIE ANZEICHEN, dass sol­che mög­li­chen Täter - teuf­li­sche Täter die­ser Art von damals - heu­te mit­ten unter uns, mit­ten in unse­rer Gesell­schaft leben.

Wir erle­ben es Tag für Tag, wie die »Bana­li­tät des Bösen« (Han­nah Are­ndt) wie­der­erweckt wird.

Schon jetzt reden sie offen in sozia­len Netz­wer­ken und mit­ten in ihrer Brau­nen Brut von einer Reaktivierung.

Sie agie­ren getarnt in Uni­for­men ihrer pak­tie­ren­den Gangs oder Bür­ger­wehr genann­ter, neu­er Schutzstaffeln.

Sie agie­ren getarnt im fei­nen Anzug ihrer Pos­ten in Orga­nen des Staates.

Sie infil­trie­ren mehr und mehr das gesell­schaft­li­che Leben in Stadt und Land.

Es ist bei ihnen Stra­te­gie - sie rekru­tie­ren und plat­zie­ren ihre aus­gren­zen­den Ideen.

Heu­te fla­nie­ren vom ukrai­ni­schen Staat finan­zier­te natio­na­lis­ti­sche “Bür­ger­weh­ren” zu Patrouil­len in Kiew und an ande­ren Orten.

Kin­dern und Jugend­li­chen wird in der Ukrai­ne die Rol­le der an der Sei­te der Wehr­macht mor­den­den ukrai­ni­schen Hilfs­po­li­zis­ten beim → Holo­caust ver­schwie­gen oder verklärt.

Ja - man setzt in Kiew sogar Stol­per­stei­ne für Kol­la­bo­ra­teu­re, die damals unter deut­scher Besat­zung an Erschie­ßun­gen teilnahmen.

Ukrai­ni­sche Offi­zi­el­le, die das mit­tra­gen, wie der Bür­ger­meis­ter von Kiew, wer­den von deut­schen und öster­rei­chi­schen Part­orgs gefeiert.

Deut­sche Leit­me­di­en schwei­gen aktu­ell wie ein Grab zum Anti­se­mi­tis­mus und Ter­ror von Natio­na­lis­ten und Rechts­ra­di­ka­len gegen Anders­den­ken­de in der Ukraine.

Babyn Jar - auch geschrie­ben Babij Jar - …

… MAHNUNG soll es sein - das nach­fol­gen­de, welt­be­kann­te Gedicht zu der dama­li­gen, unge­heu­ren Tat - ein Geden­ken soll es sein auch an die ermor­de­ten Kin­der von Babyn Jar.

BABIJ JAR

von Jew­ge­nij Jewtuschenko
(über­setzt von Paul Celan)

Über Babij Jar, da steht kei­ner­lei Denkmal.
Ein schrof­fer Hang - der eine unbe­haue­ne Grabstein.
Mir ist angst.
Ich bin alt heute,
so alt wie das jüdi­sche Volk.
Ich glau­be, ich bin jetzt
ein Jude.
Wir ziehn aus Ägyp­ten­land aus, ich zieh mit.
Man schlägt mich ans Kreuz, ich komm um,
und da, da seht ihr sie noch:
die Spu­ren der Nägel.
Drey­fus, auch er,
das bin ich.
Der Spießer
denun­ziert mich,
der Philister
spricht mir das Urteil.
Hin­ter Git­tern bin ich.
Umstellt.
Müdgehetzt.
Und bespien.
Und verleumdet.
Und es kom­men Däm­chen daher, mit Brüs­se­ler Spitzen,
und krei­schen und ste­chen mir ins Gesicht
mit Sonnenschirmchen.
Ich glau­be, ich bin jetzt
ein klei­ner Jun­ge in Bialystok.
Das Blut fließt über die Die­le, in Bächen.
Gestank von Zwie­bel und Wod­ka, die Herren
Stamm­tisch-Häupt­lin­ge las­sen sich gehn.
Ein Tritt! mit dem Stie­fel, ich lieg in der Ecke.
Ich fleh die Pogrom­brü­der an, ich fle­he - umsonst.
«Hau den Juden, ret­te Rußland!» -:
der Mehl­händ­ler hat mei­ne Mut­ter erschlagen.
Mein rus­si­sches Volk!
Internationalistisch
bist du, zuin­nerst, ich weiß.
Dein Name ist fle­cken­los, aber
oft in Hän­de gera­ten, die waren nicht rein;
ein Ras­sel­wort in die­sen Hän­den, das war er.
Mei­ne Erde - ich ken­ne sie, sie ist gut, sie ist gütig.
Und sie, die Anti­se­mi­ten, die nieder-
träch­ti­gen, daß
sie groß­tun mit die­sem Namen:
«Bund des rus­si­schen Volks»!
Und nicht beben und zittern!
Ich glau­be, ich bin jetzt sie:
Anne Frank.
Licht-
durch­wo­ben, ein Zweig
im April.
Ich liebe,
Und brau­che nicht Wor­te und Phrasen.
Und brauche:
daß du mich anschaust, daß ich dich anschau.
Wenig Sicht­ba­res noch,
wenig Greifbares!
Die Blät­ter - verboten.
Der Him­mel - verboten.
Aber ein­an­der umar­men, leise„
das dür­fen, das kön­nen wir noch.
Sie kommen?
Fürch­te dich nicht, was da kommt, ist der Frühling.
Er ist so laut, er ist unter­wegs, hierher.
Rück näher…
Mit dei­nen Lip­pen. Wart nicht.
Sie ren­nen die Tür ein?
Nicht sie. Was du hörst, ist der Eisgang,
die Schnee­schmel­ze draußen.
Über Babij Jar, da redet der Wild­wuchs, das Gras.
Streng, so sieht dich der Baum am,
mit Richter-Augen.
Das Schwei­gen rings schreit.
Ich neh­me die Müt­ze vom Kopf, ich fühle,
ich werde
grau.
Und bin - bin selbst
ein ein­zi­ger Schrei ohne Stimme
über tau­send und aber
tau­send Begra­be­ne hin.
Jeder hier erschos­se­ne Greis -:
ich. Jedes hier erschos­se­ne Kind -:
ich.
Nichts, kei­ne Faser in mir,
ver­gißt das je!
Die Internationale —
ertö­nen, erdröh­nen soll sie,
wenn der letz­te Anti­se­mit, den sie trägt, die­se Erde,
im Grab ist, für immer.
Ich habe kein jüdi­sches Blut in den Adern.
Aber ver­haßt bin ich allen Antisemiten.
Mit wüti­gem, schwie­li­gem Haß,
so has­sen sie mich –
wie einen Juden.
Und des­halb bin ich
ein wirk­li­cher Jude.

(Aus: Paul Celan: Gesam­mel­te Wer­ke. Bd. 5. Über­tra­gun­gen II. Frankfurt/M. 2000. S. 288ff.)

Babyn Jar

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