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1920-03-25 @ Den Märzgefallenen
Gedenken Port Woling - Erinnerung an die Märzgefallenen
25. März 1920 - die Morde von Mechterstädt …
… in Folge des Kapp-Putsch am 13. März 1920
Der Kapp-Putsch - letztlich ein rechter Militärputsch - war der konterrevolutionäre Putschversuch gegen die nach der Novemberrevolution (1918/1919) geschaffene Weimarer Republik - gegen die junge, erste deutsche Republik, die gerade erst knapp ein Jahr zuvor gegründet wurde. Die Konterrevolution sollte den Sturz der Monarchie rückgängig machen. Innerhalb weniger Tage wurde der Putsch niedergeschlagen.
Maßgeblichen → Anteil zur Niederschlagung hatte der durch SPD, USPD, KPD, deutschen Beamtenbund, ADGB und christliche Gewerkschaften ausgerufene → Generalstreik, dem größten in der deutschen Geschichte.
Reaktionäre Kräfte wollten die Ergebnisse der neuen Republik nicht hinnehmen. So zogen auch von Marburg aus rechte, militante, bewaffnete Korps marodierend durch Mitteldeutschland.
Die Landesregierung rief zur legitimen Gegenwehr auf. Eine → Ausstellung im Thüringer Landesarchiv erinnert gegenwärtig daran. In Thüringen stellten sich Trupps der Arbeiterschaft und von Demokraten den Putschisten-Verbänden entgegen. Dabei waren auch Bürger von Thal. Ihr Ziel war es, einen offenen Bürgerkrieg, Unruhen und Gewalt zu verhindern. Sie sammelten Waffen ein und brachten sie unter Verschluss. Vielerorts zwischen Eisenach und Gotha entwaffneten sie Anhänger der Putschisten.
Massenmord an Demokraten von Thal
Das war die Zeit der reaktionärsten Gegner der jungen Republik und Ultranationalisten, so u.a. der Studentenkorps der Burschenschaften aus Marburg. Sie holten ihre bereits bestehenden Pläne gegen demokratische Kräfte aus den Schubläden und zogen gegen die Arbeiter und Demokraten zu Felde. Ohne Skrupel vollzogen die Reaktionäre in Deutschland Verfolgung, Verhaftung und Vernichtung.
So wurden u.a. 15 Männer aus Thal vom Studentenkorp Marburg festgenommen. Am 25. März 1920 wurden sie auf dem Weg nach Gotha bei Mechterstädt feige „auf der Flucht“ ermordet. Durch Schüsse in Kopf und Rücken wurden sie niedergestreckt.
Die Namen der Ermordeten aus Thal: Alfred Rößinger (geb. 1878), Alex Hartmann (geb. 1899), Paul Döll (geb. 06.07.1895), Karl Hornschuh (geb. 29.05.1890), Rudolf Rosenstock (geb. 25.07.1893), Otto Patz (geb. 16.12.1890), Gustav Wedel (geb. 16.04.1885), Reinhold Steinberg (geb. 12.10.1865), Karl Füldner (geb. 02.12.1883), Ernst Füldner (geb. 01.12.1888), Fritz Füldner (geb. 15.03.1899), Albert Schröder (geb. 17.08.1889), Karl Schröder (geb. 26.09.1900), Otto Soldan (geb. 31.12.1895), Gustav Soldan (geb. 08.12.1901).
Die Marburger Täter wurden am 16.06.1920 in einem Gerichtsverfahren freigesprochen. Die Dynamik der »Hakenkreuzler« nahm ihren Anfang - sie wollten dem Reaktionären nationale Geltung verschaffen.
Die Mörder machten im Dritten Reich eine Karriere.
Die Umstände und Brutalität der Tat lässt heute keine Zweifel mehr daran, dass es sich um eine kalkulierte Mordaktion handelte. Die Morde wurden im Ergebnis von der Reichswehr, der Marburger Universität, dem konservativen Bürgertum, den konservativen Parteien, schließlich auch von der Justiz gedeckt.
Geschichte und Parallelen zu heute
Die Vorkommnisse um die Märzgefallenen von Mechterstädt verdeutlichen eine Geschichte nationalistischer Manipulation, Vereinnahmung und Gewalt in Deutschland vor fast 100 Jahren. Sie verdeutlichen die Schrecken als Folgen der Teilung der Gesellschaft, der im Bürgerkrieg mündet.
Es ist eine Geschichte, wie sie direkte Parallelen zu heute aufweist, wie sie u.a. in rechtsextrem ideologisierten Bürgerwehren ihre Fortsetzung findet.
Die Radikalisierung war in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Banalität menschenverachtender, reaktionärer Bosheit ergriff die Vasallen des Ultranationalismus. Sie zog sich bis in die Reihen einfacher Menschen in Stadt und Land, die die reaktionären Ansinnen gegen die junge Demokratie blindlings unterstützten.
Das Erschreckende von Thal
Die fünfzehn ergriffenen Verteidiger der jungen Republik und Ermordeten von Mechterstädt wären den reaktionären Korps nicht in die Hände gefallen ohne das Zutun Einheimischer.
Der Fakt zeigt eine Dynamik der ideologischen Radikalisierung. Diese ist heute - mitten unter uns - anhand der Kräfte der “PegNPAFD” sowie ihrer Unterstützer bei Identitären, Reichsbürgern und → Bürgerwehr genannter Schutzstaffeln bestens nachvollziehbar. Sie besitzen bereits wieder »ihren Plan«.
War Mechterstädt eine nicht verhinderbare Tragödie?
Warum sind wir Humanisten? Warum sind in der Gesellschaft so viele ihre menschliche Intelligenz ausblendende Nationalisten? Tragödie? Es war eher ein organisierter Mord des reaktionären Mob. Heute kann das wieder passieren. Sie vernetzen und organisieren sich wieder.
Gelebten und verdeutlichten Humanismus und Kampf gegen nationalistische Ansätze ist fundamental für eine menschliche, demokratische Zivilgesellschaft. Der gesellschaftliche Frieden ist nie ein Ergebnis eines Selbstlaufes. Sie (die Neu-Rechte) hetzen schon wieder gegen Menschlichkeit und deren Vertreter. Sie schreiben wieder ihre Listen.
Wehret den Anfängen - Gedenken der Opfer
Die Machtergreifung der Nazis 1933 kam nicht aus heiterem Himmel. 1945 sind sie auch keineswegs in der Versenkung verschwunden. Die Banalität des Faschismus ist weiter unter uns.
Aus diesem Grund veranstaltete die → Friedrich-Ebert-Stiftung Thüringen unter dem Titel “Gedenken an die Opfer des Kapp-Putsches 1920 – Was sagt uns Geschichte heute?” gestern in Thal bei Ruhla eine Gedenk- und Diskussionsveranstaltung. Unser Bündnis gegen Rechts Werratal nahm daran teil.
Das → Erfurter Kabarett “Die Arche” gab passend zum Anlass die Vorstellung “Alles kaputtsch!”. Michael Klostermann (Vorsitzender der August-Bebel-Gesellschaft e.V.) führte durch die Diskussion. Darin ging es um die Rolle von zivilen Widerstand gegen Rechtsextremismus in der Gegenwart.
Diskussionsredner waren u.a. Adelheid Schulze (Ortschronistin von Thal und Co-Autorin des Buches “Die Morde von Mechterstädt 1920”), Johanna Helch (Gemeinderatsmitglied Wutha-Farnroda), Hans Joachim Ziegler (Bürgermeister Ruhla), Harry Weghenkel (Lehrer am Gymnasium Ruhla und Autor) sowie Walter Bernsdorff (→ Geschichtswerkstatt Marburg e.V.).
Geschichte und Bewusstsein
Eine entscheidende Frage stellte sich nicht nur mir zum Schluss der Veranstaltung. Wo waren die Geschichtslehrer mit ihren Schülern? Hätten sie zu dieser Veranstaltung nicht Geschichte plastisch demonstrieren können?
Passend dazu hier eine Frage: „Wissen Sie, was für ein Unterschied zwischen einem Hakenkreuzler und einem Hahnenschwänzler ist? Nein? Ich auch nicht - oder doch, einen weiß ich: Die, die jetzt Hakenkreuzler sind, waren früher Hahnenschwänzler, und die, die früher Hahnenschwänzler waren, sind jetzt Hakenkreuzler” (aus einem Kabarett-Sketch der Wiener „Roten Spieler“-Truppe 1932).
Dialektik der Demokratiezerstörer
Vergessen wir bei den Ereignissen des Kapp-Putsches nicht den folgenden Umstand. Feinde einer Demokratie sind nicht nur die braunen Handlanger des Reaktionären. Darauf verwies auch ein Redner der Marburger Geschichtswerkstatt, indem er auf die Kriegsprofiteure verwies.
Das Ziel der Initiatoren des Generalstreiks im Jahr 1920 gegen den Papp-Putsch war auch, Garantien zu erlangen gegen eine Wiederholung militaristischer und monarchistischer Abenteuer. Der militaristische Aspekt des Ziels wurde offensichtlich verfehlt, wenn wir die spätere nationalsozialistische Entwicklung im Hitler-Deutschland betrachten.
Zwischen Nazis, den Kräften des Faschismus einerseits und Kräften des Militarismus (Militärisch-Industrielle Komplex und der ihn stützende gesellschaftliche Rahmen) andererseits gab es noch immer einen engen Zusammenhang!
Sie fanden ganz besonders zueinander in Zeiten sozialer Unruhen und Finanzkrisen. Sie bedingten einander. Sie hoben Hitler in den Thron. Die Profiteure waren die selben(!) und saßen am Ende zum Teil in Nürnberg gemeinsam auf der Anklagebank. Es sind die Profiteure von Kriegen und Rüstung. Die Macher militaristischer Bestrebungen waren in der Geschichte schon bei den ersten Anfängen die stillen Sponsoren der Kräfte des Rechtsextremismus. In Zeiten besonderer Krisen - erst recht, wenn die EU auseinanderbrechen würde - kann sich diese unheilvolle Allianz jederzeit wiederholen.
Demokratie stärken - aber wie
“Undemokratie” betrifft nicht nur die Neu-Rechte. “Demokratieverwerfungen” - Erscheinungen tiefgreifender Gefahren für eine Demokratie - verursachen auch Jene, die ursächlich Verantwortung tragen für Kriegsursachen, aber auch tiefe soziale Ungerechtigkeit. Genau daher erfordert ein wichtiger Kampf gegen das braune Reaktionäre auch untrennbar einen Kampf für Frieden, gegen Rüstung, gegen jegliche Waffenlieferungen, gegen Säbelrasseln, gegen erneut aufstrebenden Militarismus, gegen völkischen Hass und Konfrontation jeder Form sowie für Gerechtigkeit und mehr Basisdemokratie.
Nur so können wir neue Bürgerkriege, aber auch neue kontinentale Vernichtung verhindern sowie eine Demokratie entwickeln und stärken.
Im Nachgang noch eine Frage: Welche Rolle spielten damals die → Gewerkschaften? Welche Lehren gibt es daraus? Welche Rolle können, ja müssten sie heute einnehmen? Der gewerkschaftliche Kampf um Arbeitnehmerrechte - sollte er nicht auch ein Kampf gegen “Undemokratie” jeder Form zur Verbesserung und Stärkung demokratischer Prinzipien sein?x
Hier Fotos von der Gedenkveranstaltung (Fotos Autor Woling):
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