Grenzgeschichte

Kolumne Port Woling - Über Grenzerfahrungen und meine Grenzgeschichte


Ein Grenzer & Soldat über Geschichte

2012 - ehe­ma­li­ger Grenz­bahn­hof - Bild­au­tor: Wol­le Ing

Die deut­sche Tei­lung - gera­de die Men­schen im mitt­le­ren Deutsch­land sind geprägt von der Zeit. Die­se Zeit ist beson­ders Teil der an der ehe­ma­li­gen Gren­ze leben­den Men­schen. Kaum ein Haus in Grenz­ort­schaf­ten der ehe­ma­li­gen DDR, in dem nicht wenigs­tens ein Ange­hö­ri­ger etwas mit den Grenz­trup­pen zu tun hat­te – und wenn es nur beruf­li­che bzw. geschäft­li­che Ver­bin­dun­gen waren. Man muss­te ja wirt­schaf­ten und leben.

Das schlimms­te Kapi­tel die­ser Zeit war sicher die gewalt­sa­men Ver­trei­bun­gen gan­zer Fami­li­en aus dem Grenz­ge­biet. Die­se → Zwangs­aus­sied­lun­gen aus dem Sperr­ge­biet vor allem in groß­an­ge­leg­ten Poli­zei­ak­tio­nen 1952 und 1961 wider­fuhr ent­lang der Demar­ka­ti­ons­li­nie ca. 12000 Ein­woh­nern. Auch in mei­ner Fami­lie gab es ver­gleich­ba­res Erle­ben – die Flucht und gewalt­sa­me → Ver­trei­bung von über 3,6 Mil­lio­nen Schle­si­ern aus den schle­si­schen Gebie­ten öst­lich der Nei­ße in Fol­ge des 2. Weltkrieges.

Nach­fol­gend ein Bei­trag über das nicht ein­fa­che The­ma “Gren­ze und Gren­zen, Sol­da­ten und Sol­dat­sein, Wer­te und Geschich­te”. Der Bei­trag wider­spie­gelt ins­be­son­de­re per­sön­li­che Erfahrungen.


Ein Mensch – gebo­ren weni­ge Wochen vor dem Mau­er­bau im Jahr 1961 – Arbei­ter­kind. Jemand nann­te mich damals Lum­pen­pro­le­ta­ri­er – kein Pro­blem und eher eine Ehre. Vor Kur­zem begrub ich mei­nen Vater. Das “Lied vom klei­nen Trom­pe­ter” beglei­te­te ihn. Wir sind die nächs­te Gene­ra­ti­on, die gehen wird. Tref­fe ich dann mei­nen Vater wie­der? Bis dahin habe ich noch eine Men­ge zu ver­ar­bei­ten und zu gestal­ten. Ich wün­sche mir nur die Zeit dafür. Habe ich Sie? Nein – ich neh­me sie mir.

Im Jahr 2012 - Bild­au­tor: Wol­le Ing

Als ehe­ma­li­ger Berufs­sol­dat der Grenz­trup­pen der DDR von 1980 bis 1990, als Kom­man­deur direkt am »grü­nen Kan­ten« bzw. der Naht­li­nie zwi­schen Ost und West im »Kal­ten Krieg«, der sei­ne Ver­ant­wor­tung gegen­über den ihm unter­stell­ten Men­schen nicht nur als Job sah, als Offi­zier, dem das Wort »Ehre« kein Phra­se war, als Ver­folg­ter in der eige­nen Armee, als Mensch, der das Lebens­werk sei­ner Eltern beim Besei­ti­gen der immensen Kriegs­fol­gen als schüt­zens­wert emp­fand, aber auch als ein immer sehr nach­denk­li­cher Mensch mes­se ich der Geschich­te eine beson­de­re Bedeu­tung bei – seit ich den­ken kann. Sie arbei­tet in mir – jeden Tag. Und ich schöp­fe aus ihr und schaue nach vorn.

Mein Anlie­gen mit nach­fol­gen­den Gedan­ken besteht nicht in einer Geschichts­ver­herr­li­chung und Unter­stüt­zung von Unbe­lehr­ba­ren. Als ehe­ma­li­ger Sol­dat und Mili­tär möch­te ich erin­nern an Wer­te – posi­ti­ve wie nega­ti­ve, die in unse­rer Geschich­te, Gegen­wart und Zukunft viel­leicht von Bedeu­tung sind.

Die Ver­gan­gen­heit begrei­fen – auch die eige­ne – bedeu­tet, per­sön­lich zu wach­sen und sich in die Lage zu ver­set­zen, das Mor­gen im huma­nis­ti­schen Sin­ne bewusst mit­ge­stal­ten zu kön­nen. Alles Ande­re ist nur vage und idea­lis­tisch im Ver­such, sich aus dem Tier­reich zu erhe­ben durch gegen­sei­ti­ge Ver­schleie­rung mensch­li­cher und gesell­schaft­li­cher Missstände.

Unser Tun ent­schei­det. Das Ver­gan­ge­ne eines Jeden ist wert­vol­le Lebens­er­fah­rung. Wich­ti­ger ist den­noch, wie man heu­te dazu steht – und noch wich­ti­ger, was man gedenkt, in der Zukunft zu tun. Suche in der Ver­gan­gen­heit. Das Ergeb­nis von Erfah­rung und Wis­sen sind Sich­ten. Ent­schei­dend aber ist, heu­te durch klei­ne Schrit­te die Welt zu verändern.

Zer­bro­chen – manch einst wert­vol­ler Kame­rad und Mensch ging wäh­rend und nach die­sen Mili­tär­jah­ren von uns. Mir selbst zer­brach es bald die See­le, wenn ich sol­ches Schick­sal immer wie­der sah. Ich selbst zer­brach bald genau­so. Die Fami­lie war mei­ne Ret­tung und die Kame­ra­den. Nicht weni­ge Freun­de sind so gegan­gen. War­um? Weil wir uns plötz­lich in einer ganz ande­ren Welt wie­der­fan­den? In einer zivi­len Welt, in der plötz­lich so man­che uns wich­ti­gen Wer­te nicht mehr zählten?

Nach der Armee­zeit erwuch­sen vie­len von uns auch grö­ße­re, neue, ja fast unge­ahn­te Stär­ken. Da, wo ande­re hin­wol­len, da kamen wir her. Wir bau­en dar­auf auf. Unse­re vie­len Armee­jah­re haben uns in die Lage ver­setzt, zu ver­än­dern und aktiv zu gestal­ten. Neu­gier­de hat uns immer vor­an­ge­trie­ben. Sie war und ist unser Weg­wei­ser im Dschun­gel des Unwissens.

Sol­da­ten­ver­gan­gen­heit von uns Län­ger­die­nen­den – war­um rede ich hier dar­über? Ich war und bin einer von Ihnen. In wel­chem Dienst­grad auch immer – spielt das eine Rol­le? Jeden­falls bin ich jetzt a. D. (außer Dienst) und habe wür­de­voll und in Ehren mei­nen Dienst­grad Haupt­mann behal­ten. Wir wis­sen aber auch, Sol­da­ten ster­ben nicht – sie gehen dahin. Die vie­len Jah­re haben uns unwi­der­ruf­lich geprägt. Nichts und Nie­mand in der Welt kann das Löschen, in der Art wie man ein­fach einen Daten­spei­cher löscht.

Stell­ver­tre­tend kann Nie­mand für ande­re Armee­an­ge­hö­ri­ge spre­chen, nicht für Gren­zer, nicht für Sol­da­ten der NVA oder Bun­des­wehr, nicht für Ange­hö­ri­ge sons­ti­ger bewaff­ne­ter Eli­te­ein­hei­ten und auch nicht für Ange­hö­ri­ge ande­rer Armeen. Wir wis­sen aber – die tie­fe Spe­zi­fik ihrer Dienst­auf­ga­ben mit der Waf­fe in der Hand lässt Sol­da­ten immer wie­der an Gren­zen gelan­gen. Sie erle­ben, dass nicht immer nur der Befehl das Maß der Din­ge ist, son­dern ganz im Beson­de­ren der Mensch auch über­mensch­lich gefor­dert ist.

Der Fluch aller Sol­da­ten – sie müs­sen han­deln – und zwar schnel­ler, als es der Gedan­ke oder nur der rei­ne Instinkt zulässt. Und genau das erfor­dert beson­de­re Mecha­nis­men des Zusam­men­wir­kens, beson­de­re Prin­zi­pi­en des Sol­dat­seins und der Truppenführung.

Das Sol­da­ten­schick­sal – man kann es ein­zeln nicht erfas­sen. Man hat das ande­re Leben nicht gelebt. Also reden wir weni­ger über Ande­re. Den­ken wir mehr mit uns selbst, um letzt­lich durch unser Sein, hier den Ande­ren Gutes zu geben – und sei es nur unse­re Erfah­rung, das Durch- und Erleb­te. In die­sem welt­li­chen Sin­ne leben wir ohne Erwar­tun­gen an Andere.

Geden­ken. Wenn es ob unse­rer gegan­ge­nen Kame­ra­den um Geden­ken geht, den­ken wir auch an die in die­sem Land von Men­schen Ermor­de­ten – ermor­de­te Frei­heits­u­chen­de, ermor­de­te Sol­da­ten, ermor­de­te Frei­den­ker, Ermor­de­te ande­rer Natio­na­li­tä­ten. Und wir sehen in unse­rer Gesell­schaft nach wie vor so viel Blind­heit vor okkul­ten Per­so­nen, Grup­pen und Medi­en, die wie­der säen das Gift von Dik­ta­tur, töd­li­chem Extre­mis­mus, Ter­ror und Mor­den. Und wir sehen einen ehe­ma­li­gen Bun­des­prä­si­den­ten, der jede Form der Auf­rich­tig­keit mit Stie­feln trat und trotz­dem alle mili­tä­ri­schen Ehren erlangte.

Dann fin­de wir Ant­wor­ten in Erfah­re­nem und Wer­ten, die wir als Sol­da­ten gelebt haben: Was teilt Men­schen? Gleich­gül­tig­keit. Was eint Men­schen? Kame­rad­schaft. Was trennt Men­schen? Unter­schied­li­che Maß­stä­be. Was ver­lei­tet Men­schen? Dog­men und Unwis­sen. Was eint uns? Die Sehn­sucht. Was hält uns zusam­men? Das → Tei­len. Was lässt uns leben? Die Viel­falt. Was macht uns unbe­sieg­bar? Unse­re Lern­be­reit­schaft und Flexibilität.

Das Resü­mee mei­ner mili­tä­ri­schen Lauf­bahn: Sei ein gläu­bi­ger Mensch, ohne einer Reli­gi­on zu gehö­ren. Glau­be an die Wahr­heit, bei der Gefahr dei­nes Unter­gangs. Sei ein fähi­ger Sol­dat, ver­ab­scheue aber eine Armee. Habe Angst und hand­le furcht­los. Sei Rea­list und ver­su­che das Unmög­li­che! Sei wehr­haft, um stän­dig nach vorn zu stre­ben ohne, dass Wider­stän­de auf­hal­ten. Sol­da­ten kramp­fen nicht nach Ideen – sie haben sie, beur­tei­len die Lage und fas­sen Ent­schlüs­se. Das Sol­da­ten­da­sein hat sie tag­täg­lich in oft schwie­rigs­ten Situa­tio­nen dazu erzogen.

Was macht das Sol­dat­sein aus? Spielt es eine Rol­le, in wel­cher Armee man gedient hat? Spielt es eine Rol­le, in wel­chem Rang oder Dienst­grad man sei­nen Dienst ver­sah? Gibt es auch Ver­ach­tens­wer­tes? Müs­sen wir uns des­we­gen die Köp­fe ein­schla­gen? Kön­nen wir in neu­er zivi­li­sier­ter Qua­li­tät die Welt neu begrei­fen und verändern?

Vie­le Fra­gen – hin­ter denen auch eini­ge mei­ner Posi­tio­nen ste­hen. War jeder Offi­zier in mei­ner ehe­ma­li­gen Armee ein Offi­zier mit wah­rem Ehr­ge­fühl? Nein! Wozu gibt es einen Befehl zur Anwen­dung der Schuss­waf­fe? Zur Abschre­ckung und zum Schie­ßen – wie in jeder Armee! Kann man einen Fah­nen­eid zwei­mal leis­ten? Nein! Kann man inner­halb einer Armee für eine bes­se­re Gesell­schaft kämp­fen? Ja! Was bedeu­tet es, wenn Kame­ra­den eige­ne Kame­ra­den im Auf­trag von Geheim­diens­ten hin­ter­rücks aus­spio­nie­ren und ver­lo­gen dif­fa­mie­ren? Sträf­lichs­ter Ruf­mord! Was bedeu­tet Fah­nen­flucht? Feig­heit, den Kampf an Ort und Stel­le aus­zu­tra­gen und das ver­wirk­te Recht zum Tra­gen von Schul­ter­stü­cken. Habe ich hier zu wenig Tole­ranz? Bestimmt nicht, wenn ich bereit bin, über Ver­gan­ge­nes von Ange­sicht zu Ange­sicht zu spre­chen und nicht dar­über Krieg zu führen.

Ver­ges­sen wir nicht die ande­ren Sol­da­ten, die Wehr­dienst­ver­wei­ge­rer, die Spa­ten­sol­da­ten oder die Sol­da­ten, die nur gezwun­ge­ner­ma­ßen ihren Dienst taten. Die Form des “Nicht-Waf­fen­diens­tes” muss­te jeder Betrof­fe­nen mit sich selbst aus­ma­chen. Kon­se­quen­te Ver­tre­ter ver­die­nen genau­so höchs­te Aner­ken­nung auf­grund ihrer Gerad­li­nig­keit und Auf­rich­tig­keit, wie sie nicht vie­len Men­schen eigen ist.

Im Jahr 2012 - Bild­au­tor: Wol­le Ing

Schwe­re Ent­schei­dun­gen zur Armee­zeit – ich erin­ne­re mich dar­an. Was ist, wenn das Volk mar­schiert? Was ist, wenn dei­ne mili­tä­ri­sche Ein­heit gegen die­ses Volk mar­schie­ren soll? Jeder stand vor die­ser Fra­ge. Nicht Jeder setz­te sich damit auseinander.

Ich fand schwe­re Ant­wor­ten - für mich ganz allein.

Ruf­mord – ich erin­ne­re mich auch dar­an, in der eige­nen Armee durch vor­geb­li­che Mit­ka­me­ra­den jah­re­lang aus­spio­niert und in schwers­ter Form dif­fa­miert wor­den zu sein. Man muss­te mich irgend­wie aus­schal­ten. Ver­ges­sen wir nicht - ein­ge­schleus­te Inof­fi­zi­el­le mit­ten unter uns Sol­da­ten hat­te die­sen dre­cki­gen Job – viel­leicht jeder Zehn­te. Mei­ne poli­ti­sche Hal­tung für Frie­den und wirk­li­chen Fort­schritt pass­te so nicht in die Vor­ga­be der mili­tär-poli­ti­schen Befehls­ha­ber. Mei­ne Ein­stel­lung schon immer: “Nie­mand kann einem etwas vor­schrei­ben – nur eins muss man im Leben – für sich selbst Ent­schei­dun­gen tref­fen und dann kon­se­quent danach handeln.” 

Als Ober­lau­sit­zer hat­te ich früh­zei­tig die­se Ein­stel­lung von mei­nem schle­si­schen Vater gelernt. Man muss­te mich auch als Offi­zier ver­fol­gen, wenn ich schon nicht bekehr­bar war. Mein Preis für Gedan­ken­frei­heit war hoch. Ich beschloss, dann sol­le es das kos­ten. Und – es ging auch damals wirk­lich bis an’s unters­te mensch­li­che Niveau, mein Leben und gegen eige­ne Familienangehörige.

Ver­folgt in der eige­nen Armee, der man bedin­gungs­los dien­te – schi­zo­phren. Die ehe­ma­li­gen Inof­fi­zi­el­len und Hand­lan­ger leben zum Teil heu­te noch unter uns, in mei­nem Wohn­ort, in mei­ner Nähe – teils auch in ver­ant­wort­li­cher Posi­ti­on – und kön­nen mei­nen Blick kaum erwi­dern. Sie sind es nicht wert, über sie zu reden. Das wäre nicht mei­ne Art. Nur, Man­cher hat sein fal­sches Werk von damals bis heu­te nicht gelas­sen. Sie ver­ges­sen, ihr Wir­ken ist in his­to­ri­schen Unter­la­gen verewigt.

Die mili­tä­ri­schen Erfah­run­gen prä­gen heu­te ganz beson­ders mei­ne mili­tä­ri­sche Sicht. Kei­ne Armee der Welt, kein poli­tisch Vor-Gesetz­ter Zivil-Minis­ter, kein Gene­ral der Welt, kein Sol­dat der Welt, kei­ne Waf­fe der Welt, Nichts kann die Mensch­heit von den Gei­ßeln und kol­la­te­ra­len Fol­gen von Krie­gen befrei­en. Es wird NIE mili­tä­ri­sche Sie­ger geben. In dem Sin­ne sind Krie­ge höchst unbrauch­bar. Poli­ti­sche Sie­ge aus Krie­gen? Unmo­ra­li­sches Ansin­nen, wie es nicht grö­ßer sein kann. In Gegen­wart und Zukunft set­zen Krie­ge gar die mensch­li­che Exis­tenz auf’s Spiel. Das liegt in der Natur der unwi­der­ruf­li­chen Zer­stö­rungs­kraft von Waffensystemen.

Wenn die Obe­ren den Krieg ver­flu­chen, sind die Gestel­lungs­be­feh­le schon aus­ge­schrie­ben” (1935, Ber­tolt Brecht).

Kriegs­trei­ber - wer sind sie? Das wis­sen wir aus den Erfah­run­gen der Mili­tär­ge­schich­te und unse­rer eige­nen. Las­sen wir uns nie wie­der dafür ein­span­nen. Die­se Erkennt­nis hat­te ich spä­tes­tens 1989/1990 nach bit­ters­ten Erfah­run­gen in der so genann­ten Vor- und Wen­de­zeit. Damals lehn­te ich auf eige­nem Wunsch eine mir ange­bo­te­ne wei­te­re Lauf­bahn ab. Es hat­te was mit dem Fah­nen­eid zu tun, aber auch mei­nen inne­ren Kon­flik­ten und Erlebten.

2012 - alte Grenz­säu­le - Bild­au­tor: Wol­le Ing

Ja – ich war Gren­zer in einer Armee an einer glo­ba­len und bri­san­ten Naht­stel­le und mit 23 Jah­ren schon Offi­zier. Man­cher steckt da heu­te noch in sei­ner Leh­re. Das vor­an­ge­gan­ge­ne Offi­ziers­stu­di­um hat­te mich viel Mili­tär­ge­schich­te und mili­tä­ri­sches Hand­werk gelehrt – u. a. von Clau­se­witz bis Scharn­horst, Stra­te­gien und Dok­trin, Tak­tik von Boden­trup­pen, Angrei­fen und Ver­tei­di­gen, Auf­klä­ren und getarn­te Ope­ra­tio­nen, Geg­ner­struk­tu­ren und Aus­rüs­tun­gen, Waf­fen allen Kali­bers, Schutz vor ABC-Waf­fen, Pan­zer­be­kämp­fung, Kampf­tech­ni­ken, Spe­zi­al­spren­gun­gen, Füh­ren von der Grup­pe bis zum Regi­ment, Topo­gra­phie und Nach­rich­ten­we­sen, mate­ri­el­le Sicher­stel­lung, Psy­cho­lo­gie, Öko­no­mie und Gesell­schaft, Töten. Man ver­gisst nie!

An den Gren­zen des gro­ßen Waf­fen­bru­ders – der Weg hat mich auch dahin geführt, aber auch an Stät­ten unvor­stell­ba­ren Grau­ens. Ich den­ke, vor Allem das Grau­en muss unbe­dingt ver­mit­telt wer­den. Nur dadurch ergibt sich unse­re Chan­ce, dass sich hier mit­ten in Euro­pa die Geschich­te nicht wiederholt.

Den Tod und das Töten haben wir gelernt und nicht nur das Ver­tei­di­gen. Ich habe auch viel, bald zu viel dar­über nach­ge­dacht. Die­ses Nach­den­ken nagt regel­recht an der Sub­stanz. Mehr denn je fra­ge ich heute:

Wel­ches Recht haben Men­schen, Men­schen zu töten?”

Selbst Koran und Bibel leh­ren: “Du sollst nicht töten.” Benö­ti­gen wir zu die­ser Erkennt­nis die Reli­gio­nen, die prak­tisch zu jeder Zeit die­sen Anspruch selbst negie­ren? Allein der rei­ne Unter­schied zwi­schen Han­deln aus Instinkt und Intel­li­genz soll­te uns eine Ant­wort geben und vom Tier­reich abhe­ben. Ich fra­ge mich, war­um das Ver­bre­chen des Wer­bens um KINDERKRIEGER über­all auf der Welt, auch hier­zu­lan­de, wei­ter began­gen wird - war­um → 17-jäh­ri­ge Krie­ger über­all Objek­te der Begier­de sind.

Gesund­heit­li­che Fol­gen der Mili­tär­zeit für mich – wen inter­es­siert das heu­te? Dass Kör­per und Geist enorm dar­un­ter lit­ten und gesund­heit­li­che Fol­ge­schä­den ent­stan­den, will heu­te Nie­mand wis­sen – erst recht kein Rechts­nach­fol­ger wie die Bundeswehr.

Es war mein Weg – Kom­man­deur und Gren­zer, nach­dem ich ursprüng­lich Phi­lo­so­phie stu­die­ren woll­te. Die Zulas­sung für das Stu­di­um in Tasch­kent hat­te ich 1980 schon in der Tasche. Nicht Alles im Leben ent­schei­det man bewusst. Man­ches wird ein­fach durch ganz bestimm­te Umstän­de gelenkt und geän­dert. Dabei über­se­hen wir manch­mal, dass nicht der Wind die Rich­tung bestimmt. Wir kön­nen die Segel selbst setzen.

Trotz­dem – mei­ne ganz per­sön­li­che Mili­tär­ge­schich­te war eng beglei­tet von mir bekann­ten Phi­lo­so­phen und His­to­ri­kern wie Epi­kur, Scho­pen­hau­er, Marx oder Nietz­sche. Die Rol­le, gan­zen Inhal­te und Hei­li­gen Schrif­ten ver­schie­de­ner Reli­gio­nen habe ich mir als aus­ge­wie­se­ner Athe­ist dann spä­ter erschlos­sen – ein­fach aus Respekt vor Anders­gläu­bi­gen und in mei­ner Suche nach Ant­wor­ten und uni­ver­sel­len huma­nen Ideen.

Krie­ge und Reli­gio­nen – ein spe­zi­el­les The­ma. Auch Sol­da­ten haben oft Wür­den­trä­ger in ihren Rei­hen. Ich stel­le heu­te den Reli­gio­nen Fol­gen­des zur Dis­kus­si­on: Wo ist das Fami­li­en­ober­haupt, der Vater, der sei­nen zan­ken­den Jün­gern einer jeden Reli­gi­on einen Denk­zet­tel ver­ord­net und sie auf­for­dert: “Ver­tragt und ergänzt Euch! Ohne den Ande­ren ist jeder von euch ein Nichts! Ver­kün­det das gemein­sa­me Gebot: ‘Du sollst ver­su­chen, Ande­re zu ver­ste­hen. Ler­ne zuerst Mensch­lich, dann ande­re Spra­chen und dann das Teilen.’”

Gren­zer – das Wort ver­birgt mehr. Grenz­wer­ti­ges – das zu leis­ten – ist mein Anspruch – damals, wie heu­te. Eine ein­zel­ne Erfah­rung ist wie ein Puz­zle­teil. Die Tei­le erge­ben ein Bild. Nichts war umsonst. All das ergibt dei­nen Lebens­baum, ein für dich uner­setz­li­ches Poten­ti­al. Stär­ke ent­steht aus Zusam­men­ge­hö­rig­keit und Zusam­men­halt. Schritt für Schritt geht es vor­wärts. Das Ent­schei­den­de – der nächs­te Schritt. Danach folgt wie­der ein Schritt. Nicht das Ende ist der Anspruch. Den Weg in Wür­de gehen – das ist das Ziel des Soldaten.

Und Nichts und Nie­mand in der Welt kann über mich urtei­len, wenn er nicht mei­ne Stie­fel getra­gen hat. Das kann mir auch der Unbe­lehr­ba­re so abneh­men. Und Nichts und Nie­mand kann uns ehe­ma­li­gen Mili­tärs die bedeut­sa­men Erfah­run­gen, das Wis­sen und die tie­fe Mensch­lich­keit von wirk­li­chen Kame­ra­den unter­ein­an­der neh­men – Din­ge, die uns auf dem Weg bis zum heu­ti­gen Dasein beglei­tet haben.

Die ande­re Sei­te von Ange­hö­ri­gen ver­schie­de­ner Armeen habe ich bis heu­te auch ken­nen­ge­lernt – in vie­len Begeg­nun­gen – u. a. vom Bun­des­wehr­an­ge­hö­ri­gen, dem als Trupp­füh­rer im Zusam­men­wir­ken mit rus­si­schen Sol­da­ten mit­ten in Euro­pa im ehe­ma­li­gen Jugo­sla­wi­en die Gra­nat­split­ter um die Ohren flo­gen, vom Sol­da­ten, der in vie­len Gefech­ten Kame­ra­den ver­lor, vom US-Sol­da­ten, der in Kuweit kämpf­te, vom Sol­da­ten, der irgend­wo auf der Welt irgend­wel­che frem­den poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen ver­tritt, von ehe­mals rang­ho­hen und Anfang der 80ger geschass­ten NVA-Kom­man­deu­ren, von Sol­da­ten, denen die Rekru­ten­jä­ger vie­le hoff­nungs­vol­le Ver­spre­chun­gen mach­ten, von vie­len Sol­da­ten, die mit schwers­ten psy­chi­schen Trau­ma­ta wie­der zu hau­se allein gelas­sen werden.

Eine Rede­wen­dung besagt: “Reden ist Sil­ber, Schwei­gen ist Gold.” Ich den­ke: “Gold weckt nur tie­ri­sche Instink­te. Reden ist aber Anfang & Ende des mensch­li­chen, sinn­erfüll­ten Lebens.” In die­sem Sin­ne haben Grenz­zei­ten im Sol­da­ten­da­sein ihre Daseins­be­rech­ti­gung, denn sie ber­gen viel his­to­ri­schen Gesprächs­stoff und künf­ti­ges Potential.

Stell dir vor, dass wir Alle vor dem glei­che Dilem­ma ste­hen. Stell dir vor, dass wir aber auch von glei­chen Wer­ten berei­chert wer­den. Stell Dir vor, dass nicht die Armee, aber dafür die Fah­ne die­ser Wer­te stets hoch­ge­hal­ten wird. Stell Dir vor, dass die­se Kame­rad­schaft und Mensch­lich­keit alle Gren­zen über­win­det. Wirk­lich glau­ben und wis­sen - das kann ein ehe­ma­li­ger, wah­rer, ehren­haf­ter Soldat.

Mein Traum – es sei mir hier gewährt, aus der Geschich­te in die Zukunft abzuleiten:

Ich sehe Tugen­den des Sol­da­ten in einer huma­nis­ti­schen Quan­ten-Reli­gio für alle Men­schen, die Alles mit­ein­an­der dau­er­haft und kon­flikt­frei ver­schrän­ken kann – in einer neu­en mensch­li­chen Evo­lu­ti­ons­stu­fe des Geis­tes. Ver­bun­den mit grund­sätz­lich neu­en öko­no­mi­schen Ansät­zen und Lösun­gen in einer künf­ti­gen Zugangs­ge­sell­schaft, die allen Men­schen zur Ver­fü­gung ste­hen, wür­de ein Weg des fried­li­chen Mit­ein­an­ders aller Reli­gio­nen und Anschau­un­gen wirt­schaft­lich, poli­tisch, reli­gi­ös, ideo­lo­gisch und ethisch-mora­lisch glei­cher­ma­ßen eine Lösung im glo­ba­len Stil bedeuten.

Das Tei­len in Netz­wer­ken ver­schie­dens­ter For­men wür­de im Vor­der­grund ste­hen und nicht das Eigen­tum. Eigen­tum bremst in der Mobi­li­tät. Die Welt ist glo­bal und inter­stel­lar. Kom­mu­ni­ka­ti­on ist nicht mehr eine Fra­ge nöti­ger loka­ler Stand­or­te oder des Besit­zes, wie Kir­chen, son­dern eine Fra­ge von Zugang, Kul­tur und Tech­no­lo­gie unab­hän­gig von Zeit und Raum.

Gemein­sam erstellt man Netz­wer­ke von Leis­tun­gen, Res­sour­cen und Erfah­run­gen. Gemein­sam nutzt man die­se Netz­wer­ke. Wir reden hier nicht von Uto­pie, son­dern Ansät­zen, die sich heu­te in der Pra­xis her­aus­zu­bil­den begin­nen – sie­he z. B. das Inter­net und neue intel­li­gen­te, dezen­tra­le Ener­gie­net­ze, genannt Smart Grid.

Die­ser Weg könn­te erst­ma­lig eine welt­um­span­nen­de, nach­hal­ti­ge Dees­ka­la­ti­on ein­lei­ten. Soll­te die­ser Weg ver­wehrt blei­ben, sehe ich nur die Chan­ce des Unter­gangs mensch­li­cher Zivi­li­sa­ti­on bedingt durch die fata­le Ver­nich­tungs­kraft neu­er Tech­no­lo­gien in den fal­schen Händen.

*

Hin­weis: Erst­ver­öf­fent­li­chung die­ses Bei­trags unter mei­ner Inter­net-Zei­tung → UiZ im April 2013

*