Grenzweg Gerstunger Forst

Kolumne Port Woling – Über den gemein­sa­men Weg, einem aus vie­ler­lei Sicht his­to­ri­schem Weg im Ger­s­t­un­ger Forst



Entlang des Grenzwegs im Gerstunger Forst

Einladung zur Wanderung

Der → Ger­s­t­un­ger Forst – ein gro­ßes, gebir­gi­ges, zusam­men­hän­gen­des → Forst­ge­biet, das in der Zeit der deut­schen Tei­lung voll­stän­dig zwi­schen den Grenz­zäu­nen lag. Im nörd­li­chen Teil wurde es über 40 Jahre so gut wie gar nicht und im Süden auch nur wenig bewirt­schaf­tet. Auf­grund der Abge­schie­den­heit ent­wi­ckelte sich hier eine ein­ma­lige und unge­störte Flora sowie Fauna.

Freunde - auf dem Gemeinsamen Weg
Freunde – auf dem Gemein­sa­men Weg

Die­ser Forst lud uns zu Pfings­ten 2020 ein. Wir bega­ben uns auf eine Wan­de­rung ent­lang des → Grü­nen Band Deutsch­lands. Es war auch eine Wan­de­rung über ein für mich ganz per­sön­lich his­to­ri­sches Band.

Das besagte Band kann man aus der Vogel­per­spek­tive bei genauem Hin­se­hen tat­säch­lich als sol­ches wahr­neh­men. Bis auf den Anstieg hin­auf zum 379 Meter hoch gele­ge­nen → Kirch­wald­s­kopf und einige hun­dert Meter Unter­bre­chung im Bereich des Blan­ken­ba­cher Tals durch­zieht den Forst haar­ge­nau direkt auf der alten his­to­ri­schen Grenz­li­nie ein gemein­sa­mer Weg.

Am Grü­nen Band im Ger­s­t­un­ger Forst – Quelle: Bild Map­carta – https://mapcarta.com/de/N2619923921

Wie über­all auf der Welt ist eine Grenz­li­nie mar­kiert. I.d.R. sor­gen Grenz­steine für eine Grenz­mar­kie­rung. Der Grenz­ver­lauf geht abso­lut genau von Stein zu Stein. Der kor­rekte Stand der Grenz­steine ist ele­men­tare Vor­aus­set­zung zur Kenn­zeich­nung der → ter­ri­to­ria­len Inte­gri­tät und Sou­ve­rä­ni­tät eines Lan­des. Daher wird die­ser Stand auch regel­mä­ßig an vor­han­de­nen Gren­zen über­prüft und bei Bedarf wie­der sicher­ge­stellt – über­all auf der Welt.

Um den Lauf des Weges nicht zu stö­ren, fin­den wir im Ger­s­t­un­ger Forst eine sel­tene Form der Grenz­mar­kie­rung vor – die indi­rekte Mar­kie­rung. Es ste­hen sich an jedem Grenz­punkt – der auf dem gemein­sa­men Weg die Weg­mitte bil­det, zwei Grenz­steine jeweils am Weges­rand gegen­über. Die ange­nom­mene Mitte stellt den Grenz­punkt dar. Vom ange­nom­me­nen Grenz­punkt zum nächs­ten ange­nom­me­nen Grenz­punkt ver­läuft also die Grenz­li­nie, ohne ein Bege­hen des gemein­sa­men Weges einzuschränken.

Auf diese Art und Weise konnte ich in den 80ern (als → Gren­zer zwi­schen 2 deut­schen Staa­ten und zwi­schen 2 Wel­ten) regel­mä­ßig den Weg bege­hen und den kor­rek­ten Stand der Grenz­steine über­prü­fen. Da es ein gemein­sa­mer Weg ist, wurde man dabei gele­gent­lich von Bun­des­grenz­schüt­zern oder US-Sol­da­ten still und freund­lichst Seite an Seite auf dem glei­chen Weg beglei­tet, ohne dass man ein Wort wechselte.

Viel­leicht nehme ich diese Zei­len und auch meine Erfah­run­gen zum Thema Gren­zen (auch an pol­ni­schen, rus­si­schen, ame­ri­ka­ni­schen und korea­ni­schen Gren­zen) mal gele­gent­lich zum Anlass, ein Buch – viel­leicht auch ein nach­denk­li­ches oder pole­mi­sches – zum Thema Gren­zen zu schreiben.

Übri­gens – die in den Fotos bei­gefügte Hand­zeich­nung, die ich 1989 erstellte, hat eine eigene Geschichte.

Der gemeinsame Weg

Ja, der alte, his­to­ri­sche gemein­same Weg im Ger­s­t­un­ger Forst – ich finde es erstaun­lich, wie er sich über Jahr­hun­derte erhal­ten hat, ohne dass Men­schen ihn groß­ar­tig von der Natur “befrei­ten”. Wahr­schein­lich liegt es auch daran, dass das Wild bei sei­nen Zügen durch das große Forst­ge­biet den Weg eben­falls als Pfad benutzt. Oft zieht sich der belaubte oder mit Nadeln bedeckte Weg wie eine Hohle durch den Misch­wald und über die Berge.

Zeitzeugen
Zeit­zeu­gen der Tei­lung – Bild­au­tor: Woling

Der gemein­same Weg ist zugleich Zei­chen der ehe­ma­li­gen → Deut­schen Tei­lung. Öst­lich vom gemein­sa­men Weg stand über fast 40 Jahre ein Grenz­zaun – in den letz­ten Jahr­zehn­ten fast 3 Meter hoch. Zwi­schen Grenz­zaun und gemein­sa­men Weg stan­den als sicht­ba­res Zei­chen für eine Staats­grenze → DDR-Grenz­säu­len, mit für Besu­cher oft begehr­ten guss­ei­ser­nen, fest ver­bau­ten Hoheits­zei­chen der DDR. Irgend­wie mit Brech­stan­gen gelang es manch­mal einem “Schatz­su­cher”, so ein Zei­chen zer­stör­ter­weise zu ent­fer­nen. Da baute ich halt ein neues daran. Die hatte ich immer dabei.

Die­ser Weg hat aber eine viel län­gere Geschichte. Von 1741 bis 1918 bestand die Mon­ar­chie des Groß­her­zog­tums Sach­sen-Wei­mar-Eisen­ach (Lan­des­haupt­stadt Wei­mar). Das Ter­ri­to­rium war ziem­lich ver­wor­ren und zer­streut, so wie es in der deut­schen Klein­staa­te­rei damals üblich war. Das Haupt­ter­ri­to­rium lag um Wei­mar. Wei­tere Gebiete lagen abge­grenzt süd­öst­lich von Wei­mar und eben einige Gebiete um Eisen­ach in Rich­tung Mei­ni­gen sowie west­lich davon bis an den Rand der Pro­vinz Hessen-Nassau.

Im Jahr 2012 – Bild­au­tor: Woling

Die alten, damals gesetz­ten → Grenz­steine sind zum Groß­teil heute noch vor­han­den und bil­de­ten 1:1 den Grenz­ver­lauf zwi­schen Thü­rin­gen und Hes­sen im mit­tel­deut­schen Raum ent­lang der Werra west­lich von Eisen­ach. Die his­to­ri­schen Grenz­steine haben oft ober­halb 2 Stri­che. Die Stri­che zei­gen jeweils in Rich­tung des nächs­ten Steins. Das ist lei­der nicht so bei Grenz­stei­nen neuer Bau­art, die alte zer­fal­lene Steine ablös­ten. Die neuen, in der Grund­flä­che qua­dra­ti­schen Steine sind aus Gra­nit, nicht so wuch­tig und haben oben ein Kreuz. Das Kreuz erlaubt keine Aus­sage zum wei­te­ren Grenzverlauf.

Ein Stück bil­dete übri­gens die Werra die alte deutsch-deut­sche Grenz­li­nie. Sie war als Grenz­fluss eben­falls indi­rekt mar­kiert. Die Mitte des Flus­ses bil­dete dort die Grenz­li­nie. Übri­gens – zwi­schen Wart­burg und För­tha gab es auch ein Bruch­stück Ter­ri­to­rium von Her­zog­tum Sach­sen-Mei­nin­gen. Da soll­ten auch noch mit­ten im Wald Grenz­steine auf­zu­trei­ben sein.

Zurück zum Ger­s­t­un­ger Forst. Auf den ent­lang des gemein­sa­men Weges gefun­de­nen Grenz­stei­nen ist oft noch das Wap­pen des Groß­her­zog­tums Sach­sen-Wei­mar-Eisen­ach sicht­bar – oft nur rudi­men­tär. Das Wap­pen beinhal­tet im Zen­trum ein Zei­chen mit hori­zon­ta­lem Bal­ken und dia­go­na­lem Strich – seit jeher das eigent­li­che Wap­pen von Sach­sen. Auf der ande­ren Seite der Steine ste­hen ver­schie­dent­lich fort­lau­fende Num­mern und Jahreszahlen.

Am Grünen Band

Pfings­ten 2020 star­te­ten wir (1 Wan­de­rin – meine Toch­ter – und 3 befreun­dete Wan­de­rer) nun unsere Erkun­dungs­tour ent­lang des gemein­sa­men Weges. Wir began­nen unsere Wan­de­rung zwi­schen Neu­städt und Wom­men (gleich ober­halb der A4). Unser Ziel war der Ful­dai­sche Berg (nord­west­lich) von Ger­s­tun­gen. Die Stre­cke ist etwa 17 Kilo­me­ter lang. Im nörd­li­chen Ger­s­t­un­ger Forst (nörd­lich des → Kohl­bach­tals) ist das Gelände größ­ten­teils unweg­sam. Der Forst hat dort teil­weise Urwald­cha­rak­ter. Im süd­li­chen Teil sind die Wege wohl durch die anlie­gen­den Gemein­den gut bewirt­schaf­tet, mit Wan­der­weg­wei­sern sowie -hüt­ten ver­se­hen und damit sehr gut für Wan­de­run­gen geeig­net. Mor­gens star­te­ten wir zum Bewäl­ti­gen der kom­plet­ten, his­to­ri­schen Grenz­stre­cke. Wir woll­ten uns mög­lichst größ­ten­teils über den gemein­sa­men Weg direkt auf der alten Grenz­li­nie und weni­ger auf dem alten → Kolon­nen­weg bewegen.

Ich dachte mir, der Auf­stieg auf den Kirch­wald­s­kopf wird wohl das Schwie­rigste. Am Beginn des Weges – dem Ein­stieg zum Kirch­wald­s­kopf – ver­schlug es allen fast die Spra­che. Die Fotos zei­gen die Her­aus­for­de­rung. Der ehe­ma­lige Kolon­nen­weg mit rudi­men­tär noch vor­han­de­nen Fahr­plat­ten war kaum zu fin­den. Es war fast aben­teu­er­lich. Wir schlu­gen uns regel­recht durch die Büsche. Ich lief die Stre­cke nicht das 1. Mal – aber erst­ma­lig wie­der seit etwa 20 Jah­ren. Vor Jahr­zehn­ten war ein brei­tes Band geprägt vom Kolon­nen­weg, Grenz­zaun bis zum gemein­sa­men Weg vor­han­den. Die Natur hatte sich Alles, aber auch Alles zurück­ge­holt. Aus dem Grü­nen Band ist tat­säch­lich wie­der ein wirk­lich grü­nes Band geworden.

2020-05-31 Autor: Wolle Ing - www.wolle-ing.de
Grenz­weg Ger­s­t­un­ger Forst – Weg­wei­ser am Kirch­wald­s­kopf – Autor: Woling

So tas­te­ten wir uns am Pfingst­sonn­tag steil berg­auf durch ein anfäng­lich urwald-ähn­li­ches Gelände mit star­ken Höhen­un­ter­schie­den. Die Herz­fre­quenz stieg an die vom Kar­dio­lo­gen erlaub­ten Gren­zen. Wir ori­en­tier­ten uns dabei an den fast voll­stän­dig zuge­wach­se­nen Res­ten der alten Kolon­nen­weg­plat­ten. Die etwa 30 Meter west­lich gele­ge­nen stark zuge­wach­se­nen Grenz­steine sind am Auf­stieg keine Hilfe, weil hier noch kein Weg ent­lang der Steine exis­tiert. Oben auf dem Kirch­wald­s­kopf gegen­über dem hes­si­schen Bil­stein ange­kom­men, fan­den wir auch gleich zum dort begin­nen­den gemein­sa­men Weg. Am Kirch­wald­s­kopf erkennt man sei­nen Stand­ort am ers­ten Wan­der­schild, das uns auf der Wan­de­rung begeg­nete. An die­ser Stelle ein­fach 50 Meter rechts in die Wild­nis geschla­gen und man trifft unwei­ger­lich auf den gemein­sa­men Weg. Nun ging es immer schön den alten his­to­ri­schen, gemein­sa­men Grenz­weg zwi­schen Hes­sen und dem Groß­her­zog­tum Sach­sen-Wei­mar-Eisen­ach entlang.

Auf dem gemein­sa­men Weg gestal­tete sich unsere Wan­de­rung weni­ger schwie­rig. Viel­leicht alle 20 Meter stie­ßen wir wie­der auf jeweils 2 Grenz­steine – die stumme Zeit­zeu­gen der Tei­lung -, die die Grenz­li­nie indi­rekt mar­kie­ren. Man sollte sich hier immer nach den Stei­nen ori­en­tie­ren. Zur erste Wan­der­hütte gelang­ten wir am → Wart­burg­blick – sie war vom gemein­sa­men Weg aus etwa 10 Meter Rich­tung Süd­os­ten gut zu sehen. Der Ort ist geeig­net für eine Wan­der­pause. Rich­tung Osten hat man durch eine Wald­schneise einen aus­ge­zeich­ne­ten Blick in Rich­tung → Wart­burg. Nahe die­ser Stelle ist im Ger­s­t­un­ger Forst eine Weg­spinne mit dem namen “Kir­che”. Unweit davon ist wie­derum der → Schiffs­kopf sowie die mit 421 Metern höchste Erhe­bung des Ger­s­t­un­ger Forsts, der → Flötsch­kopf.

Unter­wegs kamen wir auch an einer alten Grab­stelle vor­bei – dem → Erb­be­gräb­nis nahe dem hes­si­schen Forst­gut Ber­litz­grube. Im gro­ßen Forst­ge­biet an völ­lig ein­sa­mer Stelle ent­deck­ten wir neben der Grab­stelle eine rie­sen Rho­do­den­dron-Pflanze ca. 8 Meter Durch­mes­ser und 3 Meter hoch – fast unglaub­lich. Der Strauch wächst an die­sem von der Zivi­li­sa­tion unge­stör­ten Fleck am jahr­hun­der­te­al­ten Familiengrab.

2020-05-31 Autor: Wolle Ing - www.wolle-ing.de
Grenz­weg Ger­s­t­un­ger Forst – Gip­fel­kreuz am gemein­sa­men Weg am Armsberg – Autor: Woling

Nach dem Erb­be­gräb­nis gelang­ten wir zum → Gro­ßen Armsberg. Hier wur­den wir mit einem Gip­fel­kreuz und Gip­fel­buch über­rascht. Nahe die­ser Stelle stie­ßen wir auch auf ein Zigeu­ner­grab. Es ist das Grab einer Zigeu­ne­rin, die einer alten Sage zufolge im Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg den kai­ser­li­chen Feld­her­ren → Gott­fried Hein­rich zu Pap­pen­heim vor einer Todes­ge­fahr bewahrte. Geg­ner des Feld­her­ren räch­ten sich dar­auf­hin an der Frau. Sie wurde hier beerdigt.

Erinnerungen auf dem Fuldaischen Berg

Etwa nach der Hälfte der Wan­de­rung hörte an einem Holz­la­ger­platz plötz­lich der gemein­same Weg auf. Von da an geht es nach Halb­links sowie steil bergab in das Blan­ken­ba­cher Tal. Am bes­ten ist es, wenn man sich ab da erst­mal etwa 150 Meter genau gen Osten gerade durch den Wald schlägt. Man trifft unwei­ger­lich auf den alten Kolon­nen­weg, den man dann Rich­tung Süden wie­der steil bergab bis in das Tal ver­folgt. Unten erwar­tete uns die nächste Wan­der­hütte. Von hier aus gelangt man gut in das → Kohl­bach­tal (mit der Kohlbachhütte).

Wir aber wan­der­ten ab jetzt den sehr gut begeh­ba­ren Kolon­nen­weg wie­der berg­auf ent­lang der alten Grenze. Ober­halb des Tals nimmt der gemein­same Weg seine Fort­set­zung. Ab hier kann man sich den sehr beschau­li­chen Kolon­nen­weg ent­lang bewe­gen oder eben den gemein­sa­men Weg wie­der neh­men. Der Weg und die wie­der indi­rekt mar­kierte Grenz­li­e­nie ver­lau­fen dann über den → Still­mes (wie­der mit Wan­der­hütte ver­se­hen). Unter­wegs gibt es noch einen Aus­blick in Rich­tung → Renn­steig zum Insel­s­berg. Die Wan­de­rung geht wei­ter bis zum Ful­dai­schen Berg (ober­halb Ger­s­tun­gen), wo uns die letzte Wan­der­hütte erwar­tete. Von hier aus wird man mit einem wun­der­ba­ren Pan­ora­ma­blick über Untersuhl und das Wer­ra­tal bis Höhe Berka (an der Werra) belohnt.

Landesgrenze bei Gerstungen - im Norden der Eingang zum Gerstunger Forst
Lan­des­grenze bei Ger­s­tun­gen – im Nor­den der Ein­gang zum Ger­s­t­un­ger Forst

Unten im Tal ver­läuft die Weihe von Richels­dorf kom­mend nach → Untersuhl. Man blickt vom Ful­dai­schen Berg (dem ehe­ma­li­gen Pos­ten­punkt 801) über das Richels­dor­fer Tal (Pos­ten­punkt 803) in die wei­ter süd­lich gele­gene Höhe 305 (Pos­ten­punkt 805). Im Tal stan­den vor der Grenz­öff­nung 7 mäch­tige Pfei­ler für eine geplante Auto­bahn­brü­cke. Jetzt über­quert das Tal eine neue moderne Brü­cken­kon­struk­tion. Kurz hin­ter der Höhe 305 gibt es ein altes, nicht betrie­be­nes Was­ser­werk (Pos­ten­punkt 806). An die­sem Ort, wohl einer der weni­gen an der deut­schen Naht­li­nie, fan­den durch uralte Stol­len in den 80ern geheime Schleu­sun­gen über die Staats­grenze statt. Wäh­rend des 2. Welt­krie­ges muss­ten hier Zwangs­ar­bei­ter unter här­tes­ten Bedin­gun­gen Roh­stoffe für Flug­zeug­teile her­stel­len. Viele starben.

1987 - Wolfgang Kiessling
Grenz­karte Ende 80er – Staats­grenze zwi­schen Obersuhl und Untersuhl – Kar­ten­er­stel­ler: Woling

Süd­lich unter­halb die­ser Höhe kreuzte die in Rich­tung → Obersuhl (Wil­deck) über 40 Jahre nicht befah­rene bzw. unter­bro­chene Auto­bahn A4 – am Pos­ten­punkt 807 (siehe Grenz­karte). Quer über die Beton­bahn war damals ein durch­ge­hen­der wei­ßer Strich für den Grenz­ver­lauf. An die­sem Strich hielt Anfang 80er jeden Tag immer zum Son­nen­auf­gang ein US-Pan­zer M60, spä­ter (ca. ab 1986) moder­ner → M1-Pan­zer, manch­mal auch eine → Pan­zer­hau­bitze M109 (zum Ver­schie­ßen von Kern­mu­ni­tion geeig­net). Es war täg­lich am Rande Ger­s­tun­gens (Orts­teil Untersuhl) ein Sze­na­rio wie zu Zei­ten här­tes­ter Kon­fron­ta­tion am Ber­li­ner → Check­point Char­lie. Das schwarze Besat­zungs­mit­glied des Pan­zers hatte i.d.R. die Ehre, mit einem rie­sen Besen die Auto­bahn beson­ders sau­ber zu fegen, wenn die mili­tä­ri­sche Füh­rung zur Inspek­tion kam – Ras­sis­mus auch damals. Ihre Mit­tags­ver­sor­gung kam eben­falls mit einem Pan­zer. Mate­rial spielte keine Rolle – wie beim Russ’. Zum Son­nen­un­ter­gang fuh­ren sie zurück auf ihre 5 Kilo­me­ter ent­fernte stän­dige B-Stelle bei Höne­bach. Ihre Ket­ten hall­ten weit über das Land.

1984 - US-Army auf Posten - Autobahn bei Untersuhl
1984, US-Armee auf Pos­ten – Auto­bahn­ab­fahrt Untersuhl (Quelle: BGS)

Meine Toch­ter Katha­rina kam in die­ser brenz­li­gen Zeit zur Welt.

Die deut­sche Tei­lung war eine his­to­ri­sche Folge des Hit­ler­krie­ges. Den gan­zen Hin­ter­grund und die Not­wen­dig­keit der Siche­rungs­maß­nah­men an die­ser dama­li­gen Staats­grenze hier zu berich­ten, führt an die­ser Stelle zu weit. Nur so viel:

Mit den zusätz­li­chen Siche­rungs­maß­nah­men der DDR ab dem 13.08.1961 an der Staats­grenze zur BRD und West-Ber­lin wurde ein aku­ter Span­nungs­herd im Zen­trum Euro­pas ent­schärft. Es wur­den nicht in ers­ter Linie DDR–Bürger daran gehin­dert, ihre Ver­wand­ten zu besu­chen und die „Glück­se­lig­kei­ten“ des Wes­ten zu genie­ßen. Viel wich­ti­gere Gründe erga­ben den aku­ten Handlungsbedarf.

(1.) Die mas­sive Abwan­de­rung von Fach­kräf­ten der DDR drohte das Land per­so­nell aus­zu­blu­ten. Hinzu kam, dass die DDR den über­wie­gen­den Teil der Repa­ra­tio­nen an die Sowjet­union leis­tete, wäh­rend die BRD durch einen Mar­shall-Plan der USA (Wirt­schafts­för­de­rungs­pro­gramm) “groß­zü­gig” geför­dert wurde. In der BRD waren Läden bun­ter, es gab bes­sere und schö­nere Autos – Mate­ri­el­les hatte für viele Men­schen Vor­rang vor mensch­li­chen und ideel­len Wer­ten. Bis 1961 hat­ten etwa 3 Mio. DDR-Bür­ger das Land ver­las­sen, nach­dem sie in der DDR kos­ten­lose Schul- und Hoch­schul­bil­dung erhal­ten hat­ten (über­wie­gend hoch­qua­li­fi­zier­tes Per­so­nal wie Ärzte und Inge­nieure). Zum Ver­gleich – 1990 bis 1998 ver­lie­ßen nur rund 1,8 Mio. Ost­deut­sche das Land in den Wes­ten einer BRD, des­sen eigent­li­ches Wesen nun immer deut­li­cher zu Tage trat. Die “Revo­lu­tio­näre” oder bes­ser gesagt Kon­ter­re­vo­lu­tio­näre, die in Leip­zig rie­fen “wie sind das Volk”, hat­ten nun ihre Bana­nen und Rei­se­frei­heit. Sie dür­fen sie heute in den gemach­ten Kri­sen umso mehr “genie­ßen”.

(2.) Die Sicher­heits­ar­chi­tek­tur zwi­schen Ost und West geriet aus den Fugen. West-Ber­lin war im auf­kom­men­den “Kal­ten Krieg” zwi­schen den bei­den Welt­sys­te­men ein Eldo­rado und Sam­mel­be­cken west­li­cher Geheim­dienste. Die BRD erkannte die völ­ker­recht­li­chen Gren­zen nach dem 2. Welt­krieg nicht an. Sie ent­wi­ckelte die “Hall­stein-Dok­trin“, um die DDR mit­tels des Völ­ker­rechts zu igno­rie­ren bzw. inter­na­tio­nal einen Allein­ver­tre­tungs­an­spruch durch­zu­set­zen. Die geschaf­fene NATO schmie­dete stra­te­gi­sche Pläne im Rah­men ihrer Nach-Vorne-Stra­te­gie, die Russ­land raus­hal­ten sollte, Deutsch­land am Boden und die USA drin in Mit­tel­eu­ropa. Die mili­tär­schern Blö­cke stan­den sich in bei­den deut­schen Staa­ten mit vie­len Divi­sio­nen gegenüber.

Im Ergeb­nis war die Grenze keine inner­deut­sche, son­dern eine Naht­li­nie zwi­schen NATO und War­schauer Pakt – eine der emp­find­lichs­ten Gren­zen der Welt. Es war eine Zeit, in der jeder­zei­tig ein beson­ne­nes Han­deln mei­ner Per­son und das mei­ner Kame­ra­den an der Naht­li­nie das Aller­wich­tigste war. Es galt täg­lich im wack­li­gen Frie­den zwi­schen den Sys­te­men einen Fun­ken zu ver­hin­dern, der am Ende die Welt erschüt­tert hätte. Das im Grenz­dienst für den Frie­den sicher­zu­stel­len, war meine Her­aus­for­de­rung, die jeden Tag an mir nagte.

Im Jahr 1984 - genau hier stand ich ihnen - den US-Soldaten vom OP Romeo - direkt an der Grenzlinie gegenüber - das Maschinengewehr auf mich gerichtet - Blick auf das alte Molybdänwerk auf DDR-Seite von der Autobahnabfahrt Untersuhl aus (Quelle: BGS)
Im Jahr 1984 – genau hier stand ich ihnen – den US-Sol­da­ten vom OP Romeo – oft direkt an der Grenz­li­nie gegen­über – ihr Maschi­nen­ge­wehr gen Osten gerich­tet – Blick auf das alte Molyb­dän­werk auf DDR-Seite vor der Orts­lage Untersuhl (Quelle: BGS)

Beim Vor­bei­lau­fen an der Auto­bahn boten die US-Kol­le­gen mir – dem DDR-Armee­of­fi­zier – manch­mal ihre Ehr­erbie­tung, in dem sie ihre Waf­fen auf mich rich­te­ten. Wenn es die Kanone war, fühlte ich mich schon geehrt. Man war es gewohnt. Die Zei­ten waren so. Heute sind sie hof­fent­lich anders.

Ich erin­nere mich auf dem Ful­dai­schen Berg noch an die (oben abge­bil­dete) ori­gi­nale Grenz­karte der 80er, die ich als ein in Topo­gra­phie Bewan­der­ter neben­bei zeich­nen durfte. Alte Frag­mente der Karte lan­de­ten spä­ter im Armee­mu­seum in Dres­den. Es gäbe über diese Zeit noch bücher­weise mehr zu berich­ten. Es gäbe auch zu berich­ten über son­der­bare Orte im Ger­s­t­un­ger Forst oder einige seit 1990 (zufäl­lig?) ver­stor­bene Offizierskameraden.

Nur wer fragt schon einen DDR-Gren­zer und Offi­zier der vor­ders­ten Linie nach der wah­ren Geschichte. Noch nicht ein­mal im 30. Jahr des deut­schen Zusam­men­schlus­ses sieht sich Jemand dazu ver­an­lasst. Die Geschichte umschrei­ben Andere.

Mit die­sen Erin­ne­run­gen been­dete ich meine nicht letzte Wan­de­rung durch eine wun­der­bare Land­schaft über den gemein­sa­men Weg, der hof­fent­lich ein gemein­sa­mer Weg des Frie­dens und der Hoff­nung bleibt.

Momentaufnahmen zur Wanderung
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  • Bild­au­tor: → Port Woling

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