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Grenzweg Gerstunger Forst
Kolumne Port Woling - Über den gemeinsamen Weg, einem aus vielerlei Sicht historischem Weg im Gerstunger Forst
Entlang des Grenzwegs im Gerstunger Forst
Einladung zur Wanderung
Der → Gerstunger Forst - ein großes, gebirgiges, zusammenhängendes → Forstgebiet, das in der Zeit der deutschen Teilung vollständig zwischen den Grenzzäunen lag. Im nördlichen Teil wurde es über 40 Jahre so gut wie gar nicht und im Süden auch nur wenig bewirtschaftet. Aufgrund der Abgeschiedenheit entwickelte sich hier eine einmalige und ungestörte Flora sowie Fauna.
Dieser Forst lud uns zu Pfingsten 2020 ein. Wir begaben uns auf eine Wanderung entlang des → Grünen Band Deutschlands. Es war auch eine Wanderung über ein für mich ganz persönlich historisches Band.
Das besagte Band kann man aus der Vogelperspektive bei genauem Hinsehen tatsächlich als solches wahrnehmen. Bis auf den Anstieg hinauf zum 379 Meter hoch gelegenen → Kirchwaldskopf und einige hundert Meter Unterbrechung im Bereich des Blankenbacher Tals durchzieht den Forst haargenau direkt auf der alten historischen Grenzlinie ein gemeinsamer Weg.
Wie überall auf der Welt ist eine Grenzlinie markiert. I.d.R. sorgen Grenzsteine für eine Grenzmarkierung. Der Grenzverlauf geht absolut genau von Stein zu Stein. Der korrekte Stand der Grenzsteine ist elementare Voraussetzung zur Kennzeichnung der → territorialen Integrität und Souveränität eines Landes. Daher wird dieser Stand auch regelmäßig an vorhandenen Grenzen überprüft und bei Bedarf wieder sichergestellt - überall auf der Welt.
Um den Lauf des Weges nicht zu stören, finden wir im Gerstunger Forst eine seltene Form der Grenzmarkierung vor - die indirekte Markierung. Es stehen sich an jedem Grenzpunkt - der auf dem gemeinsamen Weg die Wegmitte bildet, zwei Grenzsteine jeweils am Wegesrand gegenüber. Die angenommene Mitte stellt den Grenzpunkt dar. Vom angenommenen Grenzpunkt zum nächsten angenommenen Grenzpunkt verläuft also die Grenzlinie, ohne ein Begehen des gemeinsamen Weges einzuschränken.
Auf diese Art und Weise konnte ich in den 80gern (als → Grenzer zwischen 2 deutschen Staaten und zwischen 2 Welten) regelmäßig den Weg begehen und den korrekten Stand der Grenzsteine überprüfen. Da es ein gemeinsamer Weg ist, wurde man dabei gelegentlich von Bundesgrenzschützern oder US-Soldaten still und freundlichst Seite an Seite auf dem gleichen Weg begleitet, ohne dass man ein Wort wechselte.
Vielleicht nehme ich diese Zeilen und auch meine Erfahrungen zum Thema Grenzen (auch an polnischen, russischen, amerikanischen und koreanischen Grenzen) mal gelegentlich zum Anlass, ein Buch - vielleicht auch ein nachdenkliches oder polemisches - zum Thema Grenzen zu schreiben.
Übrigens - die in den Fotos beigefügte Handzeichnung, die ich 1989 erstellte, hat eine eigene Geschichte.
Der gemeinsame Weg
Ja, der alte, historische gemeinsame Weg im Gerstunger Forst - ich finde es erstaunlich, wie er sich über Jahrhunderte erhalten hat, ohne dass Menschen ihn großartig von der Natur “befreiten”. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass das Wild bei seinen Zügen durch das große Forstgebiet den Weg ebenfalls als Pfad benutzt. Oft zieht sich der belaubte oder mit Nadeln bedeckte Weg wie eine Hohle durch den Mischwald und über die Berge.
Der gemeinsame Weg ist zugleich Zeichen der ehemaligen → Deutschen Teilung. Östlich vom gemeinsamen Weg stand über fast 40 Jahre ein Grenzzaun - in den letzten Jahrzehnten fast 3 Meter hoch. Zwischen Grenzzaun und gemeinsamen Weg standen als sichtbares Zeichen für eine Staatsgrenze → DDR-Grenzsäulen, mit für Besucher oft begehrten gusseisernen, fest verbauten Hoheitszeichen der DDR. Irgendwie mit Brechstangen gelang es manchmal einem “Schatzsucher”, so ein Zeichen zerstörterweise zu entfernen. Da baute ich halt ein neues daran. Die hatte ich immer dabei.
Dieser Weg hat aber eine viel längere Geschichte. Von 1741 bis 1918 bestand die Monarchie des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach (Landeshauptstadt Weimar). Das Territorium war ziemlich verworren und zerstreut, so wie es in der deutschen Kleinstaaterei damals üblich war. Das Hauptterritorium lag um Weimar. Weitere Gebiete lagen abgegrenzt südöstlich von Weimar und eben einige Gebiete um Eisenach in Richtung Meinigen sowie westlich davon bis an den Rand der Provinz Hessen-Nassau.
Die alten, damals gesetzten → Grenzsteine sind zum Großteil heute noch vorhanden und bildeten 1:1 den Grenzverlauf im mitteldeutschen Raum entlang der Werra sowie westlich von Eisenach. Die historischen Grenzsteine haben oft oberhalb 2 Striche. Die Striche zeigen jeweils in Richtung des nächsten Steins. Das ist leider nicht so bei Grenzsteinen neuer Bauart, die alte zerfallene Steine ablösten. Die neuen, in der Grundfläche quadratischen Steine sind aus Granit, nicht so wuchtig und haben oben ein Kreuz. Das Kreuz erlaubt keine Aussage zum weiteren Grenzverlauf.
Ein Stück bildete übrigens die Werra die alte deutsch-deutsche Grenzlinie. Sie war als Grenzfluss ebenfalls indirekt markiert. Die Mitte des Flusses bildete dort die Grenzlinie. Übrigens - zwischen Wartburg und Förtha gab es auch ein Bruchstück Territorium von Herzogtum Sachsen-Meiningen. Da sollten auch noch mitten im Wald Grenzsteine aufzutreiben sein.
Zurück zum Gerstunger Forst. Auf den entlang des gemeinsamen Weges gefundenen Grenzsteinen ist oft noch das Wappen des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach sichtbar - oft nur rudimentär. Das Wappen beinhaltet im Zentrum ein Zeichen mit horizontalem Balken und diagonalem Strich - seit jeher das eigentliche Wappen von Sachsen. Auf der anderen Seite der Steine stehen verschiedentlich fortlaufende Nummern und Jahreszahlen.
Am Grünen Band
Pfingsten 2020 starteten wir (1 Wanderin - meine Tochter - und 3 befreundete Wanderer) nun unsere Erkundungstour entlang des gemeinsamen Weges. Wir begannen unsere Wanderung zwischen Neustädt und Wommen (gleich oberhalb der A4). Unser Ziel war der Fuldaische Berg (nordwestlich) von Gerstungen. Die Strecke ist etwa 17 Kilometer lang. Im nördlichen Gerstunger Forst (nördlich des → Kohlbachtals) ist das Gelände größtenteils unwegsam. Der Forst hat dort teilweise Urwaldcharakter. Im südlichen Teil sind die Wege wohl durch die anliegenden Gemeinden gut bewirtschaftet, mit Wanderwegweisern sowie -hütten versehen und damit sehr gut für Wanderungen geeignet. Morgens starteten wir zum Bewältigen der kompletten, historischen Grenzstrecke. Wir wollten uns möglichst größtenteils über den gemeinsamen Weg direkt auf der alten Grenzlinie und weniger auf dem alten → Kolonnenweg bewegen.
Ich dachte mir, der Aufstieg auf den Kirchwaldskopf wird wohl das Schwierigste. Am Beginn des Weges - dem Einstieg zum Kirchwaldskopf - verschlug es allen fast die Sprache. Die Fotos zeigen die Herausforderung. Der ehemalige Kolonnenweg mit rudimentär noch vorhandenen Fahrplatten war kaum zu finden. Es war fast abenteuerlich. Wir schlugen uns regelrecht durch die Büsche. Ich lief die Strecke nicht das 1. Mal - aber erstmalig wieder seit etwa 20 Jahren. Vor Jahrzehnten war ein breites Band geprägt vom Kolonnenweg, Grenzzaun bis zum gemeinsamen Weg vorhanden. Die Natur hatte sich Alles, aber auch Alles zurückgeholt. Aus dem Grünen Band ist tatsächlich wieder ein wirklich grünes Band geworden.
So tasteten wir uns am Pfingstsonntag steil bergauf durch ein anfänglich urwald-ähnliches Gelände mit starken Höhenunterschieden. Die Herzfrequenz stieg an die vom Kardiologen erlaubten Grenzen. Wir orientierten uns dabei an den fast vollständig zugewachsenen Resten der alten Kolonnenwegplatten. Die etwa 30 Meter westlich gelegenen stark zugewachsenen Grenzsteine sind am Aufstieg keine Hilfe, weil hier noch kein Weg entlang der Steine existiert. Oben auf dem Kirchwaldskopf gegenüber dem hessischen Bilstein angekommen, fanden wir auch gleich zum dort beginnenden gemeinsamen Weg. Am Kirchwaldskopf erkennt man seinen Standort am ersten Wanderschild, das uns auf der Wanderung begegnete. An dieser Stelle einfach 50 Meter rechts in die Wildnis geschlagen und man trifft unweigerlich auf den gemeinsamen Weg. Nun ging es immer schön den alten historischen, gemeinsamen Grenzweg zwischen Hessen und dem Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach entlang.
Auf dem gemeinsamen Weg gestaltete sich unsere Wanderung weniger schwierig. Vielleicht alle 20 Meter stießen wir wieder auf jeweils 2 Grenzsteine - die stumme Zeitzeugen der Teilung -, die die Grenzlienie indirekt markieren. Man sollte sich hier immer nach den Steinen orientieren. Zur erste Wanderhütte gelangten wir am → Wartburgblick - sie war vom gemeinsamen Weg aus etwa 10 Meter Richtung Südosten gut zu sehen. Der Ort ist geeignet für eine Wanderpause. Richtung Osten hat man durch eine Waldschneise einen ausgezeichneten Blick in Richtung → Wartburg. Nahe dieser Stelle ist im Gerstunger Forst eine Wegespinne mit dem namen “Kirche”. Unweit davon ist wiederum der → Schiffskopf sowie die mit 421 Metern höchste Erhebung des Gerstunger Forsts, der → Flötschkopf.
Unterwegs kamen wir auch an einer alten Grabstelle vorbei - dem → Erbbegräbnis nahe dem hessischen Forstgut Berlitzgrube. Im großen Forstgebiet an völlig einsamer Stelle entdeckten wir neben der Grabstelle eine riesen Rhododendron-Pflanze ca. 8 Meter Durchmesser und 3 Meter hoch - fast unglaublich. Der Strauch wächst an diesem von der Zivilisation ungestörten Fleck am jahrhundertealten Familiengrab.
Nach dem Erbbegräbnis gelangten wir zum → Großen Armsberg. Hier wurden wir mit einem Gipfelkreuz und Gipfelbuch überrascht. Nahe dieser Stelle stießen wir auch auf ein Zigeunergrab. Es ist das Grab einer Zigeunerin, die einer alten Sage zufolge im Dreißigjährigen Krieg den kaiserlichen Feldherren → Gottfried Heinrich zu Pappenheim vor einer Todesgefahr bewahrte. Gegner des Feldherren rächten sich daraufhin an der Frau. Sie wurde hier beerdigt.
Erinnerungen auf dem Fuldaischen Berg
Etwa nach der Hälfte der Wanderung hörte an einem Holzlagerplatz plötzlich der gemeinsame Weg auf. Von da an geht es nach Halblinks sowie steil bergab in das Blankenbacher Tal. Am besten ist es, wenn man sich ab da erstmal etwa 150 Meter genau gen Osten gerade durch den Wald schlägt. Man trifft unweigerlich auf den alten Kolonnenweg, den man dann Richtung Süden wieder steil bergab bis in das Tal verfolgt. Unten erwartete uns die nächste Wanderhütte. Von hier aus gelangt man gut in das → Kohlbachtal (mit der Kohlbachhütte).
Wir aber wanderten ab jetzt den sehr gut begehbaren Kolonnenweg wieder bergauf entlang der alten Grenze. Oberhalb des Tals nimmt der gemeinsame Weg seine Fortsetzung. Ab hier kann man sich den sehr beschaulichen Kolonnenweg entlang bewegen oder eben den gemeinsamen Weg wieder nehmen. Der Weg und die wieder indirekt markierte Grenzlienie verlaufen dann über den → Stillmes (wieder mit Wanderhütte versehen). Unterwegs gibt es noch einen Ausblick in Richtung → Rennsteig zum Inselsberg. Die Wanderung geht weiter bis zum Fuldaischen Berg (oberhalb Gerstungen), wo uns die letzte Wanderhütte erwartete. Von hier aus wird man mit einem wunderbaren Panoramablick über Untersuhl und das Werratal bis Höhe Berka (an der Werra) belohnt.
Unten im Tal verläuft die Weihe von Richelsdorf kommend nach → Untersuhl. Man blickt vom Fuldaischen Berg (dem ehemaligen Postenpunkt 801) über das Richelsdorfer Tal (Postenpunkt 803) in die weiter südlich gelegene Höhe 305 (Postenpunkt 805). Im Tal standen vor der Grenzöffnung 7 mächtige Pfeiler für eine geplante Autobahnbrücke. Jetzt überquert das Tal eine neue moderne Brückenkonstruktion. Kurz hinter der Höhe 305 gibt es ein altes, nicht betriebenes Wasserwerk (Postenpunkt 806). An diesem Ort, wohl einer der wenigen an der deutschen Nahtlinie, fanden durch uralte Stollen in den 80gern geheime Schleusungen über die Staatsgrenze statt. Während des 2. Weltkrieges mussten hier Zwangsarbeiter unter härtesten Bedingungen Rohstoffe für Flugzeugteile herstellen. Viele starben.
Südlich unterhalb dieser Höhe kreuzte die in Richtung → Obersuhl (Wildeck) über 40 Jahre nicht befahrene bzw. unterbrochene Autobahn A4 - am Postenpunkt 807 (siehe Grenzkarte). Quer über die Betonbahn war damals ein durchgehender weißer Strich für den Grenzverlauf. An diesem Strich hielt Anfang 80ger jeden Tag immer zum Sonnenaufgang ein US-Panzer M60, später (ca. ab 1986) moderner → M1-Panzer, manchmal auch eine → Panzerhaubitze M109 (zum Verschießen von Kernmunition geeignet). Es war täglich am Rande Gerstungens (Ortsteil Untersuhl) ein Szenario wie zu Zeiten härtester Konfrontation am Berliner → Checkpoint Charlie. Das schwarze Besatzungsmitglied des Panzers hatte i.d.R. die Ehre, mit einem riesen Besen die Autobahn besonders sauber zu fegen, wenn die militärische Führung zur Inspektion kam - Rassismus auch damals. Ihre Mittagsversorgung kam ebenfalls mit einem Panzer. Material spielte keine Rolle - wie beim Russ’. Zum Sonnenuntergang fuhren sie zurück auf ihre 5 Kilometer entfernte ständige B-Stelle bei Hönebach. Ihre Ketten hallten weit über das Land.
Meine Tochter Katharina kam in dieser brenzligen Zeit zur Welt. Die deutsche Teilung war eine historische Folge des Hitlerkrieges. Im Ergebnis war die Grenze keine innerdeutsche, sondern eine Nahtlinie zwischen NATO und Warschauer Pakt - eine der empfindlichsten Grenzen der Welt. Es war eine Zeit, in der jederzeitig ein besonnenes Handeln meiner Person und das meiner Kameraden an der Nahtlinie das Allerwichtigste war. Es galt täglich im wackligen Frieden zwischen den Systemen einen Funken zu verhindern, der am Ende die Welt erschüttert hätte. Das im Grenzdienst für den Frieden sicherzustellen, war meine Herausforderung, die jeden Tag an mir nagte.
Beim Vorbeilaufen an der Autobahn boten die US-Kollegen mir - dem DDR-Armeeoffizier - manchmal ihre Ehrerbietung, in dem sie ihre Waffen auf mich richteten. Wenn es die Kanone war, fühlte ich mich schon geehrt. Man war es gewohnt. Die Zeiten waren so. Heute sind sie hoffentlich anders.
Ich erinnere mich auf dem Fuldaischen Berg noch an die (oben abgebildete) originale Grenzkarte der 80ger, die ich als ein in Topographie Bewanderter nebenbei zeichnen durfte. Alte Fragmente der Karte landeten später im Armeemuseum in Dresden. Es gäbe über diese Zeit noch bücherweise mehr zu berichten. Es gäbe auch zu berichten über sonderbare Orte im Gerstunger Forst oder einige seit 1990 (zufällig?) verstorbene Offizierskameraden.
Nur wer fragt schon einen DDR-Grenzer und Offizier der vordersten Linie nach der wahren Geschichte. Noch nicht einmal im 30. Jahr des deutschen Zusammenschlusses sieht sich Jemand dazu veranlasst. Die Geschichte umschreiben Andere.
Mit diesen Erinnerungen beendete ich meine nicht letzte Wanderung durch eine wunderbare Landschaft über den gemeinsamen Weg, der hoffentlich ein gemeinsamer Weg des Friedens und der Hoffnung bleibt.
Momentaufnahmen zur Wanderung
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- Bildautor: → Port Woling
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